Ein schmaler, leerer Raum im Untergeschoss des früheren Untersuchungsgefängnisses der Stasi in Berlin. Beim Blick auf das Tablet steht jedoch plötzlich eine frühere Gefangene in dem tristen Zimmer und berichtet von ihren Erlebnissen als Mitglied des Arbeitskommandos. Mit moderner Technik wie solchen volumetrischen Aufnahmen von Zeitzeuginnen will die Gedenkstätte Hohenschönhausen darstellen, wie es Frauen in Arbeitskommandos der einstigen zentralen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) erging. Dafür wurde ein neuer Bereich in dem Komplex geöffnet: der etwa 500 Quadratmeter großen Küchen- und Wohntrakt der Anstalt.
«Wir wollen eine Räumlichkeit, die im Dornröschenschlaf lag, zum Sprechen bringen. Das geht besonders gut durch die digitale Bespielung all der Gegenstände, die man dort sieht», erklärte der Andreas Engwert, Leiter der Ausstellungen, am Dienstag. Man betrete damit Neuland mehrfacher Hinsicht, so Gedenkstättendirektor Helge Heidemeyer. So sei der Ausstellungsbereich bislang nicht zugänglich gewesen und Frauen als Gefangene hätten nicht im Fokus gestanden.
In dem Stasi-Gefängnis haben politisch Verfolgte auf ihren Prozess gewartet. Bereits verurteilte Frauen mussten in Arbeitskommandos arbeiten, Männer wurden in Bereichen wie der Kfz-Werkstatt oder Tischlerei eingesetzt. Die Ausstellung «In Zwangsgemeinschaft. Die Arbeitskommandos der Strafgefangenen in Hohenschönhausen» zeigt auf Deutsch und Englisch, unter welchen Bedingungen die Frauen kochen, waschen, putzen oder bügeln mussten. Zudem solle sie darstellen, zu welchen Konflikten es in der Zwangsgemeinschaft gekommen sei, erklärte Projektleiterin Eva Fuchslocher.
Die Ausstellung mache die Schicksale der Frauen sichtbar, sagte die SED-Opferbeauftragte Eveliyn Zupke. «Mit ihrem ökonomisch notwendigen Einsatz als Arbeitskräfte sicherte das MfS auch das DDR-Haftsystem und die Haft der Zehntausenden politischen Häftlinge. Verbunden war der Arbeitseinsatz der weiblichen Strafgefangenen häufig mit ihrer Nötigung zur Bespitzelung; oft wurden die Frauen auch nach ihrem Strafvollzug noch erpresst, weiter in dem Arbeitskommando zu arbeiten.»
Ausstellungsbesucher erhalten vor dem Rundgang durch den Trakt ein Tablet. Darauf sehen sie dann Fotos oder Video- und Audiodokumente die mit Hilfe einer App (Augmented-Reality-App) in die reale Welt - etwa die Küche - integriert werden. Durch die aufwendigen Aufnahmen von Zeitzeuginnen in 3D sind virtuelle Begegnung mit ehemals Inhaftierten möglich. Entstanden sind diese volumetrischen Aufnahmen nach Angaben der Gedenkstätte im Filmstudio Babelsberg.
Der Vorteil dieser digitalen Technik, so Engwert: Es sei keine weitere Ausstellungsarchitektur nötig wie verkabelte Medienstationen. «Sie haben den Eindruck, sie bewegen sich in den Räumlichkeiten, wie sie 1989 verlassen wurden», meinte er. «Wir hoffen sehr, dass wir mit dieser Technik auch jüngere Menschen ansprechen», so Heidemeyer.
Laut Gedenkstätte lagen die Kosten für die Ausstellung und das integrierte Zeitzeugenprojekt bei insgesamt rund 443.000 Euro. Die Einrichtung selbst trug demnach 137.000 Euro, weiteres Geld kam vom Land Berlin, dem Bund sowie der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Sogar eine Zeitzeugin selbst habe sich mit 20.000 Euro beteiligt, schilderte der Direktor.
Im vergangenen Jahr hatte die Gedenkstätte nach eigenen Angaben knapp 308.500 Besucherinnen und Besucher. Nach den coronabedingten Einschränkungen näherten sich die Zahlen wieder dem Niveau der Jahre zuvor an, hieß es. Durch die original erhaltene Zellen und Verhörräume führen auch frühere Häftlinge. In dem Komplex waren von 1951 bis 1989 rund 11.000 Untersuchungsgefangene eingesperrt.
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