Sie sammeln sich, fliegen kunstvolle Formationen am Herbsthimmel und bereiten sich auf ihre Reise gen Süden vor. Zugvögel sind derzeit in Sachsen und besonders auch in der Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft wieder zu Tausenden zu beobachten. Und die Vogelkundler der sächsischen Vogelschutzwarte im Landkreis Bautzen erkennen Veränderungen, die sich seit Jahren abzeichnen. «Eine zunehmende Anzahl zieht nicht mehr so weit nach Süden, sondern überwintert in nördlichen Gegenden», erklärt Leiter Jochen Bellebaum.
Hauptursache seien die zunehmend milderen Winter. Die Vogelschutzwarte, die für das dauerhafte Beobachten heimischer Vogelarten zuständig ist, registriert unterschiedliche Auswirkungen des Klimawandels auf Zugvögel. «Einige Arten kommen aus dem Norden, ursprünglich zogen sie bis Spanien», sagt Bellebaum. Das betreffe Entenvögel und auch Kraniche. «Jetzt bleiben viele auch in Sachsen und ziehen erst weiter, wenn sich starker Frost einstellt.»
Andere seien im Freistaat im Winter seltener zu beobachten, weil sie neuerdings weiter nördlich blieben. Und manche heimische Vogelart verbringe mildere Winter gleich ganz in der Region. Nur Zugvögel, die sich stark an der Tageslänge orientierten, würden ihr Programm beibehalten und weiter ihre ursprünglichen Routen fliegen.
Schwalben-Sterben durch Dauerregen
In den vergangenen Tagen sorgten Bilder aus Hochwassergebieten in Süddeutschland und Österreich bei Vogelkundlern für Aufsehen. Dauerregen, Kälte und Nahrungsmangel schienen den Schwalben dort derart zuzusetzen, dass sie in größerer Zahl erschöpft zu Boden fielen und starben. Normalerweise seien diese Zugvögel derzeit in Schwärmen auf dem Weg in südlichere Regionen, erklärt Bellebaum. Als Insektenfresser hätten sie durch den tagelangen Dauerregen wohl nicht genug Nahrung bekommen.
«Bisher ist unklar, wie viele umgekommen sind. Und auch, welche Auswirkungen das auf die Populationen der nächsten Jahre haben wird», erläutert der Neschwitzer Vogelkundler und erinnert an ein großes Schwalben-Sterben 1974 durch einen frühen Wintereinbruch. «Damals wurden die ermatteten Vögel in großer Zahl eingesammelt, um sie aufzupäppeln und über die Alpen zu bringen.» Normalerweise könnten die überlebenden Vögel aber ein solches Ereignis im nächsten Jahr durch mehr Junge ausgleichen.
«Uns macht der abnehmende Bestand der Mehlschwalbe mehr Sorgen», sagt Bellebaum. Da diese Schwalbenart im Frühjahr ihre Nester aus Schlamm baue, sei sie auf Wasserpfützen angewiesen – für die der Regen häufig fehle. «Außerdem werden die Nester an den Häusern oft beseitigt, sodass sie jedes Jahr neu bauen müssen.»
Menschen sollten auf ihren Grundstücken naturnahe Bereiche schaffen. Auch die EU-geförderten Blühflächen in der Landwirtschaft scheinen von großem Nutzen. «Diese werden nicht gemäht und bieten Nahrung. Wir sehen, dass sich Vögel im Winter genau dort aufhalten.»
400 ehrenamtliche Ornithologen unterstützen die Vogelschutzwarte in Neschwitz, die ein Teil der Staatlichen Betriebsgesellschaft für Umwelt und Landwirtschaft ist und eine dauerhafte Umweltbeobachtung in Sachsen übernimmt. Dazu kommt die Arbeit des ebenfalls dort ansässigen Fördervereins und der Naturschutzstation Neschwitz. Die erste Vogelschutzwarte gab es an dem Standort ab 1930.
Nabu: gutes Storchenjahr
Zugvögel verändern nicht nur ihre Routen, sagt René Sievert vom Naturschutzbund Nabu Sachsen. «Sie bleiben oftmals ganz an sogenannten Rastplätzen, die sie ursprünglich auf dem Weg gen Süden nur zum Krafttanken gebraucht haben.» Einige Vogelarten würden dem Winter immer bloß so weit ausweichen wie nötig. Schwalben, Kraniche und Stare sammeln sich jetzt zu größeren Schwärmen. Einige beginnen aber bereits Ende Juli mit ihrer Reise, wie Sievert erklärt. «Der Kuckuck oder die Nachtigall sind sehr früh dran.»
Da sich ihm zufolge Jahreszeiten verschieben und die Temperaturen oft länger mild bleiben, «verändert sich aber auch die Reisezeit einiger Zugvogelarten.» Allgemein gelte: Im Vorteil sei, wer sich auf Veränderungen im Klima oder in der Landwirtschaft schneller einstellen könne.
Zunehmend verzichteten auch Störche auf den anstrengenden Flug gen Süden und überwinterten in Deutschland, erklärt Sievert. «An sich war es ein gutes Storchenjahr. Die Brutpaare haben durchschnittlich zwei Jungvögel im Nest großgezogen.» Ein Sorgenkind bei den Zugvögeln seien die Mauersegler. Sie fänden an sanierten Häusern wenig Möglichkeiten zum Nisten. «Außerdem gibt es im Frühjahr schon hohe Temperaturen. Dadurch verendet der Nachwuchs im Nest oder krabbelt zu früh heraus, fällt herunter und stirbt.» Pflegestationen versuchten, die abgestürzten Küken aufzuziehen. «Das ist aufwendig. Oft gehen die Veränderungen schneller vonstatten, als sich die Natur anpassen kann.»
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