Der Fachkräftemangel in Sachsen steht nach Einschätzung von Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) erst am Anfang. In den nächsten zehn Jahren würden rund 366.000 Beschäftigte im Freistaat in Rente gehen, ohne dass dies durch die junge Generation kompensiert werden könne, erklärte Dulig am Mittwoch beim Sächsischen Fachkräftegipfel in Chemnitz. Der Beschäftigungszuwachs sei zuletzt fast ausschließlich durch Zuwanderung getragen worden. Während die Zahl inländischer Beschäftigter 2023 nur um 0,2 Prozent stieg, seien es bei ausländischen Staatsangehörigen elf Prozent gewesen.
Aktuell haben rund 131.300 Beschäftigte in Sachsen einen ausländischen Pass. Damit liegt ihr Anteil bei etwa 8 Prozent. «Da ist noch Luft nach oben», konstatierte Dulig. Denn der Bundesdurchschnitt liege bei 15 Prozent. Damit das Werben um ausländische Fachkräfte gelinge, brauche es hierzulande attraktive Bedingungen. Denn Sachsen stehe in Konkurrenz mit Regionen in anderen Teilen der Welt, aber auch in Europa und Deutschland. Neben Einkommen und Arbeitsbedingungen spiele dabei eine Rolle, wie offen die Gesellschaft sei, betonte der Sozialdemokrat.
45.000 Ukrainer im erwerbsfähigen Alter
Um den Bedarf zu decken, rückten in den vergangenen beiden Jahren besonders auch Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in den Fokus. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit lebten zuletzt rund 45.000 Ukrainer im erwerbsfähigen Alter in Sachsen. Im März wurden 7700 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aus dem Land gezählt, hinzu kamen 1800 Minijobber. Zugleich gab es landesweit 36.000 offene Stellen.
«Die Unternehmen brauchen ausländische Fachkräfte, wenn sie in den nächsten Jahren arbeitsfähig bleiben möchten», erklärte der Sprecher der Regionaldirektion Frank Vollgold. Hauptgrund sei der Bevölkerungsrückgang, der besonders drastisch im Vogtland, dem Erzgebirge und dem Landkreis Görlitz ausfallen dürfte. Statistiken zufolge schrumpft die arbeitsfähige Bevölkerung dort bis 2032 um 13 Prozent.
In Plauen versucht ein neues Projekt im Eiltempo, ausländische Arbeitskräfte in regionalen Firmen unterzubringen. Für die Initiative konnten Unternehmen aus dem Handwerk, der Lebensmittel- und der Textilbranche gewonnen werden, wie die Geschäftsführerin der Wirtschaftsfördergesellschaft Vogtland mbH, Marion Päßler, am Mittwoch sagte. «Die Teilnehmer durchlaufen einen zweiwöchigen Intensivkurs, dann geht es schon für ein Praktikum in die Betriebe.» Oft dauere es, bis Sprach- und Integrationskurse bewilligt werden. «In unserem Kurs werden sie auf den Arbeitsalltag und das berufliche Deutsch in den Betrieben vorbereitet. Dadurch lernen sie die Sprache in der Praxis.»
Kostantyn Kovalevskiy gehört zum fünften Durchgang des Projekts, das seit vorigem Jahr läuft. Er wolle in Deutschland arbeiten und in der Logistikbranche Fuß fassen, sagte er in gebrochenem Deutsch. Die knapp zehn ukrainischen Männer und Frauen aus der aktuellen Klasse sind erst den dritten Tag im Unterrichtsraum der Fördergesellschaft für berufliche Bildung in Plauen und wirken noch etwas schüchtern. Doch ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind gut, erläuterte Päßler. 61 Prozent aller Projektteilnehmer konnten sich nach dem Firmen-Praktikum über einen Arbeitsvertrag freuen. Bisher hatte das Gemeinschaftsprojekt von Wirtschaftsfördergesellschaft, dem Vogtlandkreis und weiteren Partnern 41 Teilnehmer, hauptsächlich aus der Ukraine, so Päßler.
Beschäftigte aus über 30 Nationen bei Elbe Flugzeugwerken
Um die Lücken in den Belegschaften zu schließen, buhlen Sachsens Firmen längst aktiv im Ausland um Fachkräfte. Bei den Elbe Flugzeugwerken in Dresden mit mehr als 2000 Beschäftigten etwa gibt es bereits Mitarbeiter aus über 30 Nationen. Die Zahl derer mit ausländischem Pass habe sich in den vergangenen zwei Jahren auf 124 mehr als verdoppelt, sagte Personalchefin Sabine Klie beim Fachkräftegipfel in Chemnitz. Voriges Jahr seien mehr als 30 neue Fachkräfte von den Philippinen eingestellt worden. Damit sie hierzulande gut angekommen sei ein «Buddy-Programm» aufgelegt worden, für das sich Mitarbeiter freiwillig melden konnten. Zudem habe es interkulturelle Trainings für die neuen ebenso wie die angestammten Beschäftigten gegeben, um Missverständnissen vorzubeugen.
Es müsse für alle eine Herzensangelegenheit sein, dass Sachsen ein Land sei, wo Menschen gern hinkommen und leben, appellierte Klie. Nur so könnten internationale Fachkräfte gewonnen und der weitere Bedarf in den kommenden Jahren gestillt werden.
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