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Migration damals und heute

River Star symbolisiert amerikanischen Traum, Foto von Otfrid Weiss 2021
River Star symbolisiert amerikanischen Traum, Foto von Otfrid Weiss 2021

Mißbrauch von Asyl verhindern, illegale Einreise auffangen, Personaldokumente biometrisch erfassen und vergleichen, Mehrfachregistrierung entdecken

Migration gibt es, solange es Menschen gibt. Urmenschen aus Afrika mischten sich mit Neandertalern. Die Völkerwanderung hat die Welt geprägt. Das römische Reich löste sich auf, als Germanen, Goten und Vandalen massenhaft einwanderten.

In der Neuzeit gab es Fluchtbewegungen nach großen Kriegen und Revolutionen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Polen nach Westen verschoben, wurden viele Polen zwangsumgesiedelt. Viele Deutsche flohen oder wurden vertrieben, kamen ins verbliebene Deutschland, siedelten sich hier neu an. Nach Mao Tse Tungs großem Marsch und seiner Revolution in China flohen viele Chinesen nach Taiwan. Seit 2006 siedelt China Millionen Tibeter zwangsweise um. Nach dem Vietnamkrieg flohen viele Vietnamesen übers Chinesische Meer, wurden sprichwörtliche Boat People. Kubaner flohen vor der sozialistischen Diktatur nach Florida und sonst in die USA. Mexikaner flüchten seit den 80er Jahren massenhaft in die USA. Spanisch ist faktisch zweite Amtssprache in den südlichen Staaten von Arizona bis Texas.

Migration ist also nichts Neues. Auslöser und Treiber von Migrationsbewegungen sind einerseits Kriege, Bürgerkriege, blutige Stammesfehden, Revolutionen und Völkermord, andererseits Armut, Hunger und Dürren, bedingt durch koloniale oder postkoloniale Ausbeutung, korrupte Regime, Klimawandel, industriellen Raubbau an natürlichen Ressourcen, Rohstoffen, Wasser aus Flüssen und Grundwasser.

Die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) verdanken ihre staatliche Entstehung solchen Fluchtbewegungen aus Europa, aus Fürstentümern und absolutistischen Königreichen, die ihre Untertanen immer mehr aussaugten und unterdrückten. Bereits vor der französischen Revolution wurden die USA als freiheitlicher Gegenentwurf und freier Staatenbund gegründet, Sklaverei ausgenommen.

Armutsmigration aus Afrika nach Europa und aus Südamerika in die USA ist eine globale Fluchtbewegung nach demselben Muster. Wen wundert das, wenn wir in Europa Freihandelsabkommen mit afrikanischen Staaten dazu mißbrauchen, deren heimische Geflügelzucht durch Abfallprodukte wie Hähnchenschenkel platt zu machen und vor der Küste Westafrikas fast alle Fische industriell wegzufischen?

Ein Marshallplan für Afrika war 2017 die Idee unseres Entwicklungshilfeministers. Daraus ist nicht viel geworden. Die Profitinteressen unserer Industrie überwiegen. Dabei haben wir in ganz Westeuropa selbst vom Marshallplan der USA profitiert. In der Bundesrepublik wurde Infrastruktur aufgebaut, in der DDR wurde demontiert. Viele Deutsche kamen „rüber“ – so viele, daß die DDR 1961 die Mauer gebaut hat.

Heute sprechen manche Menschen davon, daß Migranten durch Pull-Faktoren in unsere Wohlstandsgesellschaften gelockt würden. Andere meinen, Push-Faktoren würden Migranten aus ihrer Heimat wegtreiben. Migrationsforscher sehen keine so einfachen Ursachen, sondern komplexe Zusammenhänge und Kommunikation über soziale Netzwerke als Auslöser und Kompaß von Migrationsbewegungen. Beispiel: Als Ungarn einen Zaun gebaut hat, liefen die Flüchtlingsströme über andere Routen.

Weitverbreitet ist der Irrtum, daß es die Ärmsten seien, die Afrika verlassen. Tatsächlich kommen jene, die vergleichsweise begütert sind, denn nur sie können die Schleuser bezahlen. Diesem Irrtum folgt der nächste Irrtum auf dem Fuß: Einwanderung in unsere Sozialsysteme ist nicht der Hauptgrund der Flucht. Wer sein Fischerboot verkauft hat, will sich in Europa eine gute Existenz neu aufbauen.

Natürlich gibt es auch Trittbrettfahrer, oft unbegleitete Jugendliche, die sich aufs Sozialsystem verlassen und ihre Einkünfte durch Taschendiebstähle aufbessern, statt Sprachkurse zu besuchen und sich zu integrieren. Und es gibt Flüchtlinge, die in Armut und Bandenkriminalität abgleiten, als Mehrfachtäter auffallen und die Kriminalitätsstatistik für Flüchtlinge verderben, die sonst eher positiv ist.1) Die Boulevardpresse berichtet darüber intensiv, bläht damit eine Blase bewußt auf.

Hier liegt die Hauptursache für Unzufriedenheit und Wut der Bevölkerung: Einer kleinen Zahl von Intensivtätern wird offenbar nicht das Handwerk gelegt, sie werden auch nicht in Gewahrsam genommen, sondern können ungehindert immer wieder Straftaten begehen. Dies prägt das Bild aller Flüchtlinge in der Boulevardpresse und bringt der AfD Wahlerfolge als Protestpartei, die sie sonst nicht hätte.

Die Politik aller anderen Parteien reagiert darauf ohnmächtig, findet keine Lösungen. Dabei setzt unser Rechtsstaat die eindeutige Identität aller Bürger, Besucher und Touristen in Europa voraus. Biometrische und digitale Paßkontrollen bei der Einreise in den Schengenraum sollten selbstverständliche Grundlage dafür werden.

Mehrfach- und Vielfach-Registrierungen von Asylbewerbern und Flüchtlingen, die ohne Personalpapiere einreisen, setzen den Rechtsstaat außer Kraft. Ohne eindeutige Identifikation wird unser Rechtsstaat unterlaufen. Rechtsstaatliche Garantien laufen leer, wenn Straftäter mit mehreren Identitäten trotz Europol- oder Interpol-Fahndung ausreisen oder untertauchen können.

Die EU hat schon 2004 biometrische Identifikatoren (Gesichtsbild, Fingerabdrücke) verlangt, um Pässe und Reisedokumente ihrem Inhaber eindeutig zuzuordnen und damit einer betrügerischen Verwendung vorzubeugen.2)

Betrügerische Verwendung von Pässen und Reisedokumenten ist besonders leicht, wenn Asylbewerber und Flüchtlinge ihre Identität nicht nachweisen können und deshalb vorläufige Personaldokumente ausgestellt werden. Dies ist der Fall, wenn Personaldokumente in Bürgerkriegswirren verloren gegangen sind. Aber Schleuser haben diese Masche schnell entdeckt, werfen die Personaldokumente ihrer Kunden weg, damit sie leichter einreisen und schwerer abgeschoben werden können.

Diese Masche nutzen Flüchtlinge, die eine falsche Identität und Staatsangehörigkeit angeben, um damit nicht abgeschoben werden zu können. Andere lassen sich mehrfach registrieren, um mehrfach Sozialleistungen zu beziehen oder nach Straftaten unterzutauchen. Anis Amri, der Attentäter vom Breitscheidplatz in Berlin 2016, war mit acht verschiedenen Identitäten in Deutschland unterwegs.3)

Mehrfachregistrierung und Mißbrauch vorläufiger Personaldokumente sind nach wie vor möglich. Erst bei Kontrollen in Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge hat die Bundesagentur für Arbeit festgestellt, daß Leistungsbezieher dort nicht mehr wohnten. Die Leistungen wurden dann erst eingestellt.

2019 hat unsere Innenminister-Konferenz (IMK) Eckpunkte zum biometrischen Identifier nur zur Kenntnis genommen, nicht wirksam beschlossen.4) Eine Regelung der eindeutigen Zuordnung der Personalienidentität über alle Register hinweg mithilfe eines biometrischen Identifikators gibt es wohl bis heute nicht. Grund dafür ist das Volkszählungs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1983. Darin formulierte das höchste Gericht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, nennt Personenkennzeichen, Ordnungsmerkmale und deren Substitute mehrfach und lehnt sie im Bezug auf die Zusammenführung von Daten klar ab.5)

Aber das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verbietet biometrische Merkmale in Personalausweis, Reisepaß und vorläufigen Personaldokumenten nicht. Lediglich der zentrale Abgleich über alle Register hinweg ist nicht erlaubt.

Angesichts dieser Verfassungsrechtslage schlage ich vor, Asylbewerbern und Flüchtlingen keine vorläufigen Personaldokumente mehr auszustellen, bis ihre Identität eindeutig geklärt ist. Dabei sollte auch ihr Heimatstaat zweifelsfrei festgestellt werden. Ein Mangel an Dolmetschern darf das nicht verhindern.

Asylbewerber und Flüchtlinge, die ihre Identität nicht nachweisen können, sind bis zur Klärung ihrer Identität in Aufnahmelagern menschenwürdig unterzubringen, wie es sie lange Zeit für Aussiedler und Vertriebene in Friedland in Niedersachsen gab und heute als Grenzdurchgangslager für Flüchtlinge immer noch gibt.6)

Zum Verfasser: Otfrid Weiss ist Assessor jur., Ministerialrat a.D. und Oberst der Reserve. Nach seiner Verwaltungslaufbahn war er 21 Jahre in der Wirtschaft tätig, davon 14 Jahre bei SAP, Microsoft, Vision Consulting und Deloitte.

Anmerkungen:

1) "Unter den straffälligen Zuwanderern fällt die hohe Zahl der Mehrfachtäter auf, besonders bei Menschen aus den Maghreb-Staaten Marokko, Tunesien und Algerien, aber auch aus Georgien. Einige von ihnen sind geduldet oder gar ausreisepflichtig, wurden also nicht als Flüchtlinge anerkannt. Asylbewerber aus Syrien, dem Irak und Afghanistan werden hingegen deutlich seltener kriminell. Schaut man allein auf die Zahlen für anerkannte Flüchtlinge, wird deutlich, dass sie im Jahr 2017 gesetzestreuer waren als Deutsche. Ein anerkannter Flüchtling begeht also statistisch gesehen weniger Straftaten als ein Deutscher." – Quelle (nicht mehr klickbar): https://www.zeit.de/amp/news/2019-01/08/faktencheck-sind-auslaender-haeufiger-kriminell-als-deutsche-181221-99-316592

2) 2009 hat die EU die Rechtsgrundlage zur Erfassung biometrischer Identifikatoren von Visumantragstellern (Gesichtsbild und zehn Fingerabdrücke) im Visa-Informationssystem (VIS) geschaffen. 2017 hat die EU dann eine Verordnung zur Erfassung der Ein- und Ausreisedaten sowie der Einreiseverweigerungsdaten von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union erlassen. Diese Verordnung sieht als biometrische Identifikatoren eine Kombination aus vier Fingerabdrücken und dem Gesichtsbild vor. Im Juni 2019 wollte die deutsche Innenminister-Konferenz (IMK) dann Eckpunkte dafür beschließen, eineindeutige Identifikatoren (hier neudeutsch "Identifier" genannt) auch in Deutschland einzuführen. Welche das sein sollten, blieb offen. Aber immerhin hieß es: "Eine eindeutige Zuordnung der Personalienidentität über alle Register hinweg ist herzustellen. Dies kann mithilfe eines Identifiers geschehen, der die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen nach Artikel 87 der Datenschutz-Grundverordnung wahrt. Der hierfür verwendete Identifier muss so verlässlich und robust sein, dass medienbruchfreie Prozessketten auch in komplexen Situationen stets auf der Grundlage eindeutiger Personenidentitäten operieren." - Quelle: https://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/20190614_12/anlage-zu-top-12.pdf

3) Asylbewerber und Flüchtlinge in Deutschland können immer noch nicht zentral erfaßt werden, weil unsere Behörden untereinander nicht vernetzt sind, weder unter Bundesbehörden wie Bundesgrenzschutz und Zoll noch zwischen Bundes- und Landesbehörden wie Arbeitsagentur und Landratsämtern (im übertragenen Wirkungskreis) noch zwischen Bundesländern. So konnte der Attentäter vom Breitscheidplatz, Anis Amri, unentdeckt unter mindestens fünf verschiedenen Identitäten Asyl beantragen, mit acht verschiedenen Identitäten in Deutschland ungehindert unterwegs sein sowie in 14 von 16 Bundesländern HARTZ IV parallel beziehen, ohne entdeckt zu werden. Vgl. dazu https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2016/12/attentat-berlin-breitscheidplatz-weg-anis-amri.html

4) Quelle: https://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/20190614_12/beschluesse.pdf

5) Quelle: https://netzpolitik.org/2019/innenminister-wollen-personendaten-zentral-speichern-und-identifier-fuer-alle

6) In den Folgejahren ist Friedland vor allem Zwischenstation für deutschstämmige Spätaussiedler aus Osteuropa. Neben diesen finden in Friedland auch immer wieder Menschen aus unterschiedlichsten Ländern Zuflucht. 1956 zum Beispiel sind es Flüchtlinge aus Ungarn, 1973 nach dem Militärputsch in Chile Verfolgte des Pinochet-Regimes, 1978 Bootsflüchtlinge ("Boatpeople") aus Vietnam, 1984 Tamilen aus Sri Lanka und 1990 Flüchtlinge aus Albanien. In den Wendejahren 1989/90 kommen auch Übersiedler aus der DDR, dann auch Aussiedler aus den Nachfolgeländern der Sowjetunion. Allein im Jahr 1990 treffen 400.000 Aussiedler in Friedland ein. (…) Heute ist das Grenzdurchgangslager (GDL) Friedland die einzige Erstaufnahmeeinrichtung für Spätaussiedler und deren Angehörige in Deutschland. (…) 2011 wird Friedland zudem zu einer der Erstaufnahme-Stellen des Landes Niedersachsen für Asylsuchende. Vor einer besonders großen Herausforderung steht Friedland im Jahr 2015 durch die riesigen Flüchtlingsströme vor allem aus Bürgerkriegsländern wie Syrien und Irak. Im Herbst 2015 ist das Durchgangslager zwischenzeitlich völlig überfüllt. Es hat zu diesem Zeitpunkt Kapazitäten für rund 700 Asylsuchende, zeitweise leben dort aber mehr als 3.500 Geflüchtete. – Quelle: https://www.ndr.de/geschichte/schauplaetze/Durchgangslager-Friedland-Tor-zur-Freiheit-fuer-Kriegsgefangene,friedland102.html (NDR-Bericht vom 26.9.2023)


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