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Moderne Kunst aus der Diktatur im Dresdner Café Belarus

Das Japanische Palais spiegelt sich in einem Brunnen. / Foto: Robert Michael/dpa
Das Japanische Palais spiegelt sich in einem Brunnen. / Foto: Robert Michael/dpa

Zeitgenössischer Kunst, die nicht der staatlichen Norm entspricht, bleibt in Weißrussland meist nur die Nische. Ein Minsker Künstlerduo hat Ächtung hautnah erlebt - und für ein paar Monate Freiheit in Dresden.

Das Café Belarus des Dresdner Japanischen Palais hat bis Mitte November zwei besondere Gäste aus dem osteuropäischen Land: das Künstlerduo 1+1=1. In der Schau «Kassandra-Komplex» sind insgesamt 26 Arbeiten von Antanina Slabodchykava und Mikhail Gulin aus Minsk zu sehen. Sie zeugen von der Sehnsucht nach freier Kunstausübung und im Kontrast dazu der Situation in ihrer Heimat. In die Gemälde, Videos, Performances, Zeichnungen und Installationen flossen die Erfahrungen des Paares ein, das sich der zeitgenössischen Kunst verschrieben hat - und damit den Unmut der Staatsmacht auf sich zog.

Gulin hat sich für moderne Aktionskunst entschieden. «Sobald ich dabei anfing, kritische Positionen einzunehmen, begannen die Probleme», erzählte er der Deutschen Presse-Agentur vor der Eröffnung am Donnerstag. Es habe nur wenige Zonen gegeben, «wo man sich öffentlich äußern konnte», aber nicht lange. «Alle Orte sind schon politisiert, nichts ist unbeobachtet, alles wird kontrolliert.» Jede Aktivität Richtung Aktionskunst werde als politische Positionierung gesehen. «Unser Land ist jetzt einen Schritt davor, «entartete Kunst» aus Ausstellungen zu entfernen.»

Während er schon 2012 wegen einer vermeintlichen Provokation mit einer Skulptur auf einem prominenten Platz verhaftet wurde, geriet seine Frau im Wahlkampf 2020 in den Fokus der Obrigkeit. Sie zeichnete ein Piktogramm, das dann spontan zum Symbol des Widerstands gegen das autokratische Regime wurde: ein Herz, kombiniert mit Faust und Siegeszeichen. «Erst als meine Zeichnung so bekannt wurde, habe ich die schwere Last einer so großen Verantwortung gespürt und der Angst», sagte die 44-Jährige. «Aber auch, wie kraftvoll und größer das ist als man selbst.» Die spontane, schnelle Reaktion darauf sei für sie «eine phänomenale Erfahrung» gewesen. Auch sie verlor ihre Stelle, wurde gezwungen, zu gehen.

Seit Oktober 2022 lebt das Künstlerpaar in Dresden - mit einem Stipendium der Martin Roth Initiative (MRI). Diese bietet Künstlern, die aus politischen oder sozialen Gründen in der Heimat gefährdet sind, für mindestens zwölf Monate Zuflucht und die Möglichkeit zur Neuorientierung. «Wir hatten Glück, dass wir weggehen konnten», sagte Slabodchykava. «Wir sind in Freiheit, aber das fühlt sich nicht so an.» Sie denke immer daran, dass es sie auch hier einholen kann. Freiheit sei für sie «wie ein Traum», Unfreiheit und Unterdrückung immanenter Teil ihrer Kunst.

Gulin war nach der Verhaftung fünf Jahre persona non grata, durfte nicht ausstellen, verlor seine Stelle an einer Universität. «Es gibt schwarze Listen von Künstlern», beschrieb er die aktuelle Lage. Organisatoren einer großen Ausstellung etwa seien vor die Wahl gestellt worden, Werke von Künstlern zu entfernen oder nicht öffnen zu dürfen. «Alles Nonkonforme, Zeitgenössische wird behindert», ergänzte seine Frau. Wenn man sich in diese Richtung entwickele, «ist das schon wie Widerstand».

Gulin hat die für ihn treffendste Vorstellung von seinem Land in pinker Leuchtschrift auf einen «brutalen Bauzaun» gepinnt und Folie darübergezogen: «Kassandra». Die Geschichte dahinter aus der Mythologie ist Konzept und Titel der Schau in zwei Räumen. Der Fokus liegt auf dem psychologischen Effekt, wenn negative Prognosen ignoriert oder abgewiesen werden. Auch darüber kann im Café Belarus gesprochen werden. Es entstand im Zuge einer Ausstellung 2021 und ist Begnungs- und Diskussionsort für Menschen im Exil und Künstler, wie die Leiterin des Museums für Völkerkunde Dresden, Barbara Höffer, sagte.

Gulin sagte laut Mitteilung, ihr Land sei seit 1994 in Europa als letzte Diktatur bekannt, stecke zwischen «nicht mehr sowjetisch» und «noch nicht europäisch demokratisch» fest. Es gebe Tausende politische Gefangene sowie Entführungen, der Einfluss Russlands wachse. Bis zum Angriffskrieg auf die Ukraine hätten sich EU und Nachbarländer in der Regel darüber «sehr besorgt» gezeigt, aber nicht mehr. «Wenn man genau in die Region geschaut hätte, hätte man das ahnen können».

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