Die Unesco hat die sächsische Kleinstadt Herrnhut als Teil der Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine als neues Welterbe ausgezeichnet. Das zuständige Komitee der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (Unesco) gab die Entscheidung auf seiner 46. Sitzung im indischen Neu-Delhi bekannt.
«Die Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine stehen für den kulturellen und geistigen Austausch über Ländergrenzen und Kontinente hinweg», sagte die Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission Maria Böhmer. «Sie sind in Vielfalt vereint und damit ein Sinnbild für die Welterbeidee.»
Einstimmige Entscheidung
Der Beschluss wurde nach Angaben von Sachsens Staatskanzleichef Conrad Clemens einstimmig gefasst. «Heute ist ein besonderer Tag für Herrnhut und die Oberlausitz, auf den viele Menschen hingearbeitet haben», sagte der CDU-Politiker, der die Sitzung des Unesco-Welterbekomitees vor Ort verfolgte.
Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) beglückwünschte Herrnhut für die Auszeichnung. Er freue sich sehr, sagte er in einer Videobotschaft auf der Plattform X. «Die Menschen, die hinter diesem Erfolg stehen, haben viel erreicht. Der gesamte Freistaat profitiert davon.»
Auch der Herrnhuter Bürgermeister Willem Riecke zeigte sich erfreut. Der Welterbetitel stärke das Netzwerk der Brüdergemeinen und der Orte, die dahinterstehen, sagte er dem MDR. «Das ist eine große Freude und auch eine große Ehre für uns.» Der Ort solle nun behutsam weiterentwickelt werden, etwa durch Investitionen in die Erhaltung der Bausubstanz.
Der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt sieht in dem Titel auch «ein schönes Zeichen» für den lebendigen Glauben der Brüdergemeine. «Inmitten unserer säkularen und glaubensfremden Umgebung wird damit eine Ehrung ausgesprochen, die weit über Ihre Glaubensgemeinschaft hinaus Bedeutung hat», schrieb er laut Mitteilung des Bischöflichen Ordinariats.
Die Unesco-Entscheidung sei «eine hervorragende Nachricht für Sachsen, sagte Vize-Ministerpräsident Wolfram Günther (Grüne). «In Zeiten, in denen viele negative Nachrichten aus Sachsen kommen, richtet die Entscheidung den Blick auf die vielen Engagierten und Aktiven vor Ort, die an der Zukunft des Freistaats bauen.»
Kultur- und Tourismusministerin Barbara Klepsch (CDU) betonte, als drittes grenzüberschreitendes Welterbe nach dem Muskauer Park und der Montanregion Erzgebirge «eröffnet die Herrnhuter Brüdergemeine neue Möglichkeiten für die weltweite Werbung um Besucher für die Oberlausitz und ganz Sachsen».
Brüdergemeine 1722 in Herrnhut gegründet
Herrnhut ist der Ursprung für die Evangelische Brüdergemeine. Glaubensflüchtlinge aus Mähren hatten den Ort 1722 gegründet. Das fehlende «d» im Namen der Brüdergemeine ist der Sprache dieser Zeit geschuldet, der Begriff Gemeinde kam erst später auf.
Als sich die Brüder-Unität weltweit ausbreitete, trugen Missionare aus der Oberlausitz auch den Bauplan für neue Siedlungen in andere Länder. Mit Christiansfeld in Dänemark wurde eine davon bereits 2015 als Welterbe der Unesco anerkannt. Über einen transnationalen Erweiterungsantrag kam nun auch Herrnhut in der Oberlausitz auf die Liste, zusammen mit den Siedlungen Bethlehem in Pennsylvania in den USA und Gracehill in Nordirland.
Fokus in Brüdergemeine auf gemeinsamem Leben
Die Siedlungen der Brüdergemeine zeichneten eine schlichte, klare Architektur aus mit Fokus auf gemeinsamem Leben, Arbeiten und Glauben, sagte Sachsens Staatskanzleichef Clemens. Er gehört seit Geburt selbst der Herrnhuter Brüdergemeine an, in der sein Vater Pfarrer ist. «Es ist eine Idee des Zusammenlebens, die auf Weltoffenheit, Gleichberechtigung und fast familiärem Zusammenhalt fußt», sagte er im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur. Der Titel sei «gerade in einer Zeit, wo wir viel Spaltung und Polarisierung erleben, ein schönes Zeichen für Sachsen».
Jahrhundertealte Geschichte
Die Herrnhuter Brüdergemeine geht auf die Böhmische Brüder-Unität zurück, die 1457 entstand. Der Name leitet sich von der lateinischen Bezeichnung «Unitas Fratrum» für Böhmische Brüder ab. Sie lebten als evangelische Minderheit im katholischen Königreich Böhmen, ihr geistlicher Ahnvater war der Reformator Jan Hus (1371-1415), der als Ketzer verbrannt wurde.
Nachfahren von ihnen kamen im 18. Jahrhundert dann nach Sachsen, wo Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760) ihnen Land für einen Neubeginn in der Oberlausitz zur Verfügung stellte. Exakt am 17. Juni 1722 fällte der Zimmermann Christian David den ersten Baum, um den Ort unter des «Herrn Hut» zu bauen.
Auch bei der Brüder-Unität – Herrnhuter Brüdergemeine löste die Ehrung Freude aus. «Wir sehen das als Wertschätzung für die Werte, für die unsere Kirche steht: geistliches Leben in Gemeinschaft, Verbundenheit über Grenzen hinweg, vertrauensvolles Hören auf Gottes Wort», sagte Pfarrer Peter Voigt. Sie wollten aber kein Museum sein. «Vielmehr heißt Welterbe für uns, die Herrnhuter Tradition für die Gegenwart zu gestalten und die alten Gebäude mit Leben zu füllen.» Das Welterbe sei lebendig. «Wir knüpfen weiter am Netz, nehmen Anteil am Leben der Geschwister auf fünf Kontinenten und unterstützen einander in schwierigen Zeiten.»
In der Bundesrepublik gibt es mehr als 50 Welterbestätten. Und voraussichtlich am Samstag wird noch eine Entscheidung über einen rein deutschen Antrag erwartet: Schwerin und sein Schloss auf einer Insel im See sowie weitere Teile der Innenstadt könnten dann ebenfalls auf der Liste des Weltkulturerbes landen. Seit zehn Jahren steht die Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns auf der Vorschlagsliste Deutschlands.
Copyright 2024, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten