loading

Nachrichten werden geladen...

Matthias Berger will Expertenregierung für Sachsen: Politischer Kompromiss oder Gefahr für die Demokratie?

Plenarsitzung des 8. Sächsischen Landtags. (Bild: SLT/Stephan Floss)
Plenarsitzung des 8. Sächsischen Landtags. (Bild: SLT/Stephan Floss)

Sachsen diskutiert die Option einer Expertenregierung. Warum diese Idee polarisiert und welche Konsequenzen sie für die Demokratie hätte.

Am 18.12.2024 soll der neue und vielleicht alte Ministerpräsident Sachsens gewählt werden. Doch die politische Situation in Sachsen ist angespannt: Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) muss sich nach dem Ende der angestrebten Brombeer-Koalition auf eine Minderheitsregierung mit der sächsischen SPD stützen, der entscheidende Mehrheiten fehlen. Gleichzeitig werden in politischen Kreisen Alternativen diskutiert, darunter die Option einer Expertenregierung, wie sie der ehemalige Oberbürgermeister von Grimma, Matthias Berger, ins Spiel gebracht hat. Doch was steckt hinter dieser Idee, und ist sie eine realistische Alternative?

Ausgangslage: Wackelige Mehrheiten und neue Herausforderungen

Die sich im Moment abzeichnende zukünftige Landesregierung Sachsens befindet sich in einer politisch schwierigen Lage. Die CDU stellt 41 Abgeordnete, die SPD unterstützt Kretschmer mit weiteren 10 Stimmen – es fehlen mindestens 10 Stimmen für eine absolute Mehrheit im Landtag. Die AfD mit ihren 40 Mandaten bleibt außen vor, da Kretschmer jegliche Zusammenarbeit mit ihr ablehnt. In dieser Gemengelage werden Szenarien wie die Kandidatur eines AfD-Herausforderers oder gar eine parteiübergreifende Expertenregierung laut. 

Matthias Berger, der als parteiloser Abgeordneter für die Freien Wähler im Landtag sitzt, hat sich als Fürsprecher einer solchen Expertenregierung positioniert. Sein Vorschlag sieht ein Gremium vor, das aus Fachleuten besteht und parteipolitische Interessen hintanstellt. Die Idee ist nicht neu: Auch Sahra Wagenknecht und der ehemalige Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt haben Ähnliches ins Spiel gebracht. (Quelle)

Expertenregierung: Vorteile und mögliche Umsetzung

Eine Expertenregierung könnte in der aktuellen Lage Stabilität bringen, indem sie sich ausschließlich auf fachliche Kompetenz und nicht auf politische Machtkämpfe stützt. Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft – etwa Universitätsprofessoren, Wirtschaftsführer oder Vertreter von gemeinnützigen Organisationen – könnten Lösungen für drängende Themen wie Strukturwandel, Bildungspolitik und Energieversorgung entwickeln.

Der Vorteil: Entscheidungen würden auf Basis von Sachkenntnis und nicht parteipolitischer Interessen getroffen. Eine solche Regierung könnte kurzfristig Vertrauen zurückgewinnen und die Blockade im Landtag lösen.

Doch die Frage bleibt: Woher kommen diese Experten, und wie wird ihre Unabhängigkeit gewährleistet? Kritiker warnen, dass Fachleute oft eng mit politischen Akteuren oder Wirtschaftsinteressen vernetzt sind. Zudem müsste eine Expertenregierung vom Landtag gewählt oder zumindest legitimiert werden – ein schwieriges Unterfangen angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse.

Demokratische Risiken und politische Realitäten

Eine Expertenregierung birgt jedoch erhebliche Risiken für die Demokratie. Sie wäre nicht direkt durch Wahlen legitimiert, was ein Demokratiedefizit darstellen könnte. Bürgerinnen und Bürger könnten sich von einer solchen Regierung entfremdet fühlen, da diese keinen politischen Willen, sondern lediglich fachliche Expertise repräsentiert.

Die politische Realität in Sachsen spricht ebenfalls gegen die Realisierbarkeit einer Expertenregierung. Parteien wie CDU und SPD dürften nur ungern ihre Macht und Gestaltungsfreiheit abgeben. Die AfD wiederum könnte die Diskussion nutzen, um ihre Position als größte Oppositionskraft weiter zu stärken, ohne realistische Chancen auf eine eigene Regierungsbeteiligung zu haben.

Woher kommen die Experten in einer Regierung, und was kosten sie?

Experten in einer Regierung werden häufig aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft rekrutiert, darunter Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung. Beispielsweise können Universitätsprofessoren, Führungskräfte aus der Wirtschaft oder erfahrene Beamte in Ministerien berufen werden. Die Auswahl dieser Experten erfolgt in der Regel durch das Staatsoberhaupt oder den Regierungschef, oft in Absprache mit politischen Parteien oder anderen relevanten Akteuren. Die Kosten für eine Expertenregierung können variieren, abhängig von den Gehältern der ernannten Fachleute und den administrativen Ausgaben. Allerdings liegen spezifische Daten zu den Kosten solcher Regierungen selten vor. Es ist jedoch bekannt, dass die Bundesregierung in den ersten drei Quartalen des Jahres 2020 mindestens 344,3 Millionen Euro für Berater ausgegeben hat, was einen Hinweis auf die potenziellen Kosten für externe Expertise geben kann. (Quelle)

Historische Beispiele für Expertenregierungen

Historische Beispiele für Expertenregierungen finden sich unter anderem in Italien. Im Jahr 2011 übernahm Mario Monti, ein ehemaliger EU-Kommissar und Wirtschaftswissenschaftler, die Führung einer Technokratenregierung, um das Land durch die Eurokrise zu führen. Ein weiteres Beispiel ist Griechenland, wo 2011 der ehemalige Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, Lucas Papademos, eine Expertenregierung leitete, um wirtschaftliche Reformen umzusetzen. Solche Regierungen werden oft in Zeiten politischer oder wirtschaftlicher Krisen eingesetzt, wenn traditionelle politische Strukturen als ineffektiv angesehen werden. (Quelle)

Eine theoretische Option mit begrenzter Praxisrelevanz

Die Diskussion über eine Expertenregierung zeigt vor allem eines: die Verunsicherung in der sächsischen Politik. Während die Minderheitsregierung von Michael Kretschmer um Mehrheiten ringt, bleibt die Expertenregierung ein theoretisches Modell. Sie könnte kurzfristig Stabilität bringen, würde jedoch langfristig demokratische Prinzipien schwächen.

In der aktuellen Lage liegt die Lösung weniger in ungewöhnlichen Regierungsmodellen, sondern in einer konstruktiven Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg. Nur so kann die politische Handlungsfähigkeit Sachsens gestärkt werden – im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und der demokratischen Kultur.