In der vermeintlichen Fördermittelaffäre des sächsischen Sozialministeriums widerspricht ein Gutachter klar der Ansicht des Landesrechnungshofes. Demnach hat der Rechnungshof seine Kompetenzen überschritten, als er etwa dem Ministerium einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot vorwarf. Nach Einschätzung von Gutachter Friedhelm Hufen haben die Rechnungsprüfer übergriffig gehandelt. Sie seien vom Gesetzgeber nicht dazu befugt, Ausführungen zum Neutralitätsgebot und zur Chancengleichheit politischer Parteien zu verfassen. Der Verfassungsrechtler Hufen aus Mainz hatte das Gutachten im Auftrag mehrerer Stiftungen, die im Bereich Demokratiearbeit aktiv sind, angefertigt.
Der Rechnungshof nahm die Ausführungen zu dem Gutachten «zur Kenntnis». «Wir greifen bei unserer Prüfung auf die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs zurück. Zu dieser bisherigen Prüfungsweise stehen wir und werden dies auch künftig so handhaben», teilte die Behörde auf Anfrage mit.
Rechnungshof mit harscher Kritik an Fördermittelpraxis im Sozialministerium
Stein des Anstoßes war ein Sonderbericht des Sächsischen Rechnungshofes (SRH) zur Fördermittelpraxis im Sozialministerium (SMS). Die Prüfer hatten die Förderrichtlinie «Integrative Maßnahmen» in den Jahren 2016 bis 2019 geprüft. Dabei ging es um Gelder für Vereine und Initiativen, die Arbeit für Flüchtlinge leisteten. Der SRH bescheinigte dem Ministerium ein rechtswidriges Verwaltungshandeln in «außergewöhnlichem Maße». Belege für ein persönliches Fehlverhalten von Ministerin Petra Köpping (SPD) fand man nicht. Staatssekretär Sebastian Vogel wurde allerdings in den Ruhestand versetzt.
«Der SRH sieht das staatliche Neutralitätsgebot durch das SMS nicht ausreichend geschützt und beachtet», hieß es im Sonderbericht. Das SMS habe einen möglichen steuernden Einfluss auf die politische Willensbildung zu unterlassen und den Grundsatz der staatlichen Neutralität aktiv zu schützen. «Das bedeutet auch, die Nutzung öffentlicher Mittel für politische Aktivitäten durch Zuwendungsempfänger nicht hinzunehmen.»
Gutachter: Politische Bildung und Demokratiearbeit ist nie «neutral»
Dazu war Friedhelm Hufen, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, von der Cellex Stiftung und weiteren Stiftungen um ein Gutachten ersucht worden. Sein Urteil fiel deutlich aus. «Die politische Nähe eines schon im Titel auf Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt ausgerichteten Ministeriums zu auf dieselben Ziele gerichteten gesellschaftlichen Vereinigungen ist kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot, sondern geradezu sachimmanent», lautete eine Kernaussage. Politische Bildung und Demokratiearbeit seien stets auf ethische Werte und Verfassungsziele gerichtet und deshalb nie «neutral».
«Die öffentliche Finanzierung privater Initiativen bedeutet nicht, dass deren Äußerungen zu solchen des Staates werden. Die privaten Träger sind weder Instrument noch 'Sprachrohr' des Ministeriums und auch nicht in gleichem Maße an ein – wie auch immer definiertes – Neutralitätsgebot und die Chancengleichheit der Parteien gebunden», hieß es weiter.
Stiftung: Gutachten stärkt bundesweit Position gemeinnütziger Organisationen
Nach Einschätzung der Cellex Stiftung zieht Hufen erstmals eine genaue Linie, wozu das Neutralitätsgebot die Empfänger von Fördermitteln verpflichtet und wozu nicht. Organisationen der Zivilgesellschaft dürften sich auch dort gegen die AfD stellen und konkret vor der Politik dieser Partei warnen, wo sie staatliche Fördermittel erhalten hätten. «Als engagierte Vermittler in der Demokratiearbeit sehen sich viele Vereine geradezu in der Pflicht, vor den Gefahren für die Werte und Grundrechte unserer Verfassung zu warnen, wenn die AfD an Einfluss gewinnt», teilte die Stiftung mit. Das Gutachten stärke bundesweit die Position gemeinnütziger Organisationen.
«Es gehört gerade zu unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, dass es auch widerstreitende politische Meinungen und Überzeugungen gibt und diese auch öffentlich ausgesprochen und diskutiert werden können. Allein die Vorstellung, dass man seine politische Meinung nicht mehr sagen darf, wenn man öffentliche Fördermittel in Anspruch nimmt, ist abstrus», erklärte Markus Schlimbach, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Sachsen. Das Gutachten zeige auf, dass Sachsen unnötige juristische Auseinandersetzungen drohten, wenn es weiter starr am Neutralitätsgebot festhalte.
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