Der sächsische Landesrabbiner Zsolt Balla betrachtet Antisemitismus als Problem für die ganze Gesellschaft. «Beim Anschlag auf die Synagoge 2019 in Halle sind zwei Menschen gestorben, die nichts mit der jüdischen Gemeinde zu tun hatten und nur zufällig in der Nähe waren. Antisemitismus ist ein Gift nicht nur für Juden, alle haben darunter zu leiden», sagte der 45-Jährige, der als Militärrabbiner auch für die jüdische Seelsorge in den Reihen der Bundeswehr zuständig ist.
Balla zufolge lässt sich Antisemitismus nicht auf muslimische Zuwanderer reduzieren. So existiere auch in der deutschen Gesellschaft «rechts und links». «Antisemiten können nicht differenzieren. Sie verstehen nicht, dass jüdische Gemeinden keine Repräsentanten Israels sind. Die israelitische Religionsgemeinde ist keine israelische Gemeinde. Wir sind eine jüdische Gemeinde, die seit 180 Jahren in Leipzig existiert. Ich bin ein deutscher Staatsbürger wie andere auch. Doch das begreifen Antisemiten nicht.»
«Ich frage mich manchmal: Wenn Politiker und Wissenschaftler in den vergangenen 80 Jahren kein 'Arzneimittel' gegen Antisemitismus gefunden haben, was kann ich als Landesrabbiner dagegen tun?», sagte der gebürtige Ungar. Seine Kompetenzen würden nur so weit gehen, die Ohren offenzuhalten und den Menschen Ratschläge zu geben, damit sie ein Leben in Normalität führen könnten. «Als Rabbiner habe ich vielfältige Aufgaben. Ein großer Teil der Arbeit betrifft die Seelsorge. Ich muss mich mit den Sorgen der Menschen befassen und kenne ihre Probleme.»
Nach dem Massaker der radikal-islamistischen Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel hat Balla unter den Mitgliedern jüdischer Gemeinden eine zunehmende Verunsicherung festgestellt. «Ich sehe das an mir selbst. Früher habe ich meine Kippa auf den Straßen von Leipzig sorglos getragen. Ich habe auch heute noch keine Angst um mich selbst, aber um meine Kinder. Das macht mir große Sorgen.» Der Umgang mit Juden habe sich seit dem 7. Oktober verändert. Es gehe nicht in erster Linie um direkte Angriffe oder Beleidigungen. Es gebe aber ein unterschwelliges Gefühl, sich nicht mehr sicher zu fühlen.
Balla sieht die Schuld für Antisemitismus unter Zuwanderern nicht bei den Menschen selbst. «Es ist ihre Sozialisation. Sie sind von Kindheit an mit Vorurteilen konfrontiert.» Das führe so weit, dass man in der arabischen Welt Feinde aus dem persönlichen Umfeld als Juden beschimpfe. Er selbst habe in Köln erlebt, wie ein Iraner den früheren iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschād als Juden bezeichnete. «Es geht darum, mit einem sehr früh implementierten Antisemitismus umzugehen. Das ist eine ganz schwierige Aufgabe.»
«Es gibt aber auch Zeichen der Hoffnung», sagte Balla und verwies auf die zunehmende Isolierung des Regimes im Iran nach dem jüngsten Angriff auf Israel. Länder wie Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Saudi-Arabien hätten Israel bei der Abwehr des Angriffs unterstützt. Israel unterhalte Kontakte zu Ländern wie Ägypten oder Bahrain. Israelis würden in Abu Dhabi das «Abrahamic Family House» besuchen, das eine Kirche, eine Moschee und eine Synagoge in einer Anlage umfasse. «Die Welt ist besser geworden, kann aber noch viel besser werden. Es gibt ein großes Potenzial.»
Mit Blick auf die Situation in Sachsen begrüßte Balla den unlängst erneuerten Staatsvertrag zwischen den jüdischen Gemeinden und dem Freistaat. Demnach wird das Land Sachsen seine finanzielle Unterstützung für die Gemeinden ab 2025 von jährlich 1,07 Millionen Euro auf 2,1 Millionen verdoppeln. Dafür sei man dankbar, notwendig sei eine Dynamisierung der Gelder aber auch in den kommenden Jahren. Denn die jüdischen Gemeinden seien von Preissteigerungen und Inflation genauso betroffen wie alle anderen. «Auch der Schutz jüdischer Einrichtungen bleibt leider eine Daueraufgabe.»
Balla warnte davor, den Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden zu spalten und Verwirrung zu stiften. Ein unlängst gegründeter «Landesverband für die jüdischen Gemeinden und Einrichtungen in Sachsen» entbehre jedweder Legitimität und könne nicht für die Mehrheit der Jüdinnen und Juden in Sachsen sprechen. Er könne auch nicht eigenmächtig Landesrabbiner berufen. Man sehe aber mit Freude Initiativen, die sich der jüdischen Kultur, dem interreligiösen Dialog, der Erinnerung an die Shoah oder dem kulturellen Austausch widmeten. Allen Gemeinden, die den religionsrechtlichen Kriterien entsprechen, stehe der Weg in den richtigen Landesverband offen.
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