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Nachdenken über Ophelia

Tate Britain / CC-BY-NC-ND 3.0 (Unported)
Tate Britain / CC-BY-NC-ND 3.0 (Unported)

Ophelia erscheint in Shakespeares Drama Hamlet als klassische Opferfigur. Was kann sie uns gerade in Zeiten von Corona sagen? Was können wir von ihr lernen?

Ophelia, die Geliebte des Hamlet in Shakespeares gleichnamigem Drama, erscheint dort als klassische Opferfigur. Dass sie jedoch auch heute noch als Inspiration dient und zum Nachdenken anregt, zeigt die Konzertperformance „Ophelia. Tragödie einer Liebenden“, die am 26. Mai 2020 in der Kulturkulisse Altplauen Premiere feiert. Was kann uns Ophelia heute noch sagen?

Hamlet gilt allgemein als bestes Drama Shakespeares und mindestens als eines der wichtigsten überhaupt. Ophelia nimmt in dem Stück lediglich eine Nebenrolle ein. Dennoch ist sie aus mehreren Gründen auch heute noch ein interessanter Charakter. Vielleicht bietet es sich zu Zeiten von Corona sogar geradezu an, einmal etwas intensiver über Ophelia nachzudenken.

Wenn wir zunächst an das Drama selbst denken, sind Ophelia und ihr Bruder Laertes die Kinder des königlichen Ratgebers Polonius. König Hamlet ist von seinem Bruder Claudius ermordet worden, doch nur Prinz Hamlet weiß davon, da ihm der Geist seines Vaters in der Nacht erschienen ist, der seinen Sohn gleichzeitig damit beauftragt, ihn zu rächen. Seine Mutter Gertrude heiratet Claudius, was das Drama entfesselt und Ophelia zum Spielball der patriarchalischen Ränke macht.

Ophelia – das willenlose Opfer?

Als Hamlets Geliebte steht Ophelia dem tragischen Helden besonders nahe. Ihr Vater Polonius nutzt das aus, indem er seine Tochter dazu missbraucht, Hamlet über seine Pläne auszuhorchen. Ophelia ist also gefangen in doppelter Liebe, der zu ihrem Geliebten Hamlet und der zu ihrem Vater. Beiden Seiten will sie es Recht machen. Einerseits erfüllt sie den Wunsch des Vaters, andererseits fühlt sie mit Hamlet, der nicht nur seinen Vater durch den Tod verloren hat, sondern auch die Mutter an den Mörder seines Vaters.

Ob Hamlet sich von Ophelia distanziert, weil er ihre Spionage durchschaut oder weil er das Weibliche nach dem angeblichen Verrat der Mutter generell ablehnt, ist für Ophelia selbst nicht wirklich wichtig. Fragen kann sie ihn schließlich nicht, ohne ihre eigene Schuld einzugestehen. So sitzt sie zwischen allen Stühlen, als Vermittlerin, die sich selbst dabei vergisst und darüber dem Wahnsinn verfällt.

Trotz dieser scheinbaren Schwäche, alles widerspruchslos zu tun, was ihr von Männern befohlen wird, sich selbst also völlig aufzugeben, wird Ophelia von Shakespeare sehr positiv beschrieben. Denn sie erscheint als Vermittlerin, als Frau, die sich selbst nicht wichtig nimmt, im Bestreben, alle Menschen um sie zu versöhnen. Doch das kostet letztlich so viel Kraft, dass sie daran zerbricht.

Ophelia als Warnung und Vorbild

In Shakespeares Drama stirbt Ophelia im Verborgenen. Ihr Tod ist auf der Bühne nicht zu sehen. Kurz zuvor hat ihr Geliebter Hamlet ihren Vater Polonius getötet. Schon vorher hin- und hergerissen, ist sie nun völlig außer sich. Königin Gertrude berichtet Ophelias Bruder Laertes davon, dass sie im Fluss ertrunken sei. Bei Hamlet im 4. Akt und dort in der 7. Szene sagt sie (in der Übersetzung von August Wilhelm von Schlegel:

„Es neigt ein Weidenbaum sich übern Bach
 Und zeigt im klaren Strom sein graues Laub,
 Mit welchem sie phantastisch Kränze wand
 Von Hahnfuß, Nesseln, Maßlieb, Kuckucksblumen,
 Die dreiste Schäfer derber wohl benennen,
 Doch unsre Mädchen Toten-Mannes-Finger.
 Dort, als sie aufklomm, um ihr Laubgewinde
 An den gesenkten Ästen aufzuhängen,
 Zerbrach ein falscher Zweig, und nieder fielen
 Die rankenden Trophäen und sie selbst
 Ins weinende Gewässer. Ihre Kleider
 Verbreiteten sich weit und trugen sie
 Sirenen gleich ein Weilchen noch empor,
 Indes sie Stellen alter Weisen sang,
 Als ob sie nicht die eigne Not begriffe,
 Wie ein Geschöpf, geboren und begabt
 Für dieses Element. Doch lange währt' es nicht,
 Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken,
 Das arme Kind von ihren Melodien
 Hinunterzogen in den schlammigen Tod.“

Diese Szene hat der britische Maler Sir John Everett Millais im Jahr 1852 äußerst eindrucksvoll auf Leinwand gebannt. Wie bei Shakespeare beschrieben, habe Ophelia am Flussufer einen Blumenkranz geflochten. Dann habe sie den Halt an den dünnen Ästen der Weiden verloren und sei ins Wasser gestürzt. Doch statt zu versuchen, ihr Leben noch zu retten, habe sie auf dem Rücken treibend darauf gewartet, dass sie ihre vom Wasser schweren Kleider in die Tiefe ziehen. Dabei habe sie alte Lieder gesungen. In Millais‘ Gemälde ist Ophelias Mund leicht geöffnet, so als würde sie singen. Die Blumenkette hat sich aufgelöst. Doch die einzelnen Blüten begleiten sie in den Tod – wie bei einem Begräbnis.

Was wir von Ophelia lernen können

Die Tragik des Hamlet liegt vor allem darin, dass vieles angenommen, jedoch nicht wahrhaftig miteinander gesprochen wird. Auch Ophelia ahnt lediglich, fühlt mit ihrem Geliebten. Dass es ihr selbst schlecht geht, kann jeder der Beteiligten erkennen. Doch Hilfe bietet ihr niemand an.

Gerade jetzt, in Zeiten von Corona, sind wir dazu aufgefordert, Abstand zu halten. Physische Nähe ist wichtig, und die vermissen wir nun ganz besonders. Gerade jetzt wird deutlich, dass es die Frauen sind, die sich selbst nicht so wichtig nehmen, damit alles gut funktioniert. Das sehen wir in Supermärkten, in Krankenhäusern, in Apotheken und in der Pflege. Doch anders als die Männer im Hamlet dürfen wir nicht wegsehen oder lediglich darauf warten, bis der Corona-Spuk wieder vorbei ist. Es muss sich grundlegend etwas ändern. Miteinander wahrhaftig zu reden, könnte schon mal ein Anfang sein.