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Missbrauch in Kirchgemeinde

Die Kirche Pobershau liegt malerisch im Tal der Pockau. / Foto: Jan Woitas/dpa
Die Kirche Pobershau liegt malerisch im Tal der Pockau. / Foto: Jan Woitas/dpa

In der Vergangenheit haben wiederholt Fälle sexualisierter Gewalt die Kirchen erschüttert - auch in Sachsens evangelischer Landeskirche. Sie hat inzwischen mehr als eine halbe Million Euro an die Opfer gezahlt.

Mehr als 20 Jahre liegen die Übergriffe eines Kantors auf Mädchen in Pobershau zurück, doch die Taten wühlen noch immer auf. Auch weil die Betroffenen lange mit dem Erlebten allein fertig werden mussten, die Taten kleingeredet wurden. Eineinhalb Jahre haben nun Experten das ganze Ausmaß aufgearbeitet - und listen in ihrem Abschlussbericht detailliert auf, was die Taten begünstigt hat. Zudem bescheinigen sie der evangelischen Landeskirche erhebliche Defizite beim Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt. Die hat reagiert. «Anhand von Pobershau haben wir sehr viel gelernt: Was man tut und was man besser lässt», räumt Landesbischof Tobias Bilz ein.

Aus Rücksicht auf die Betroffenen verzichten die Fachleute in ihrem Bericht auf eine Auflistung aller Details der Übergriffe, lassen aber keinen Zweifel: Es ging um strafbare Handlungen. Davon, dass der ehrenamtliche Kirchenmusiker den Mädchen die Hand auf Brust, Hintern und Oberschenkel gelegt und sie gestreichelt habe, ist die Rede. Auch habe er ihnen Anzügliches ins Ohr geflüstert. Im Kern ging es um einen Zeitraum von etwa zwei Jahren Ende der 1990er Jahre. «Wir haben es hier wesentlich mit sexuellem Missbrauch von Kindern zu tun», stellt Rechtsanwalt Jörn Zimmermann, Mitglied der unabhängigen Aufarbeitungskommission, fest.

Dem Bericht nach haben fünf Frauen den Fachleuten sexuelle Übergriffe geschildert, vier waren zu dem Zeitpunkt noch im Kindesalter. Die Experten gehen allerdings davon aus, dass es weitere Opfer gab - von mindestens einem, möglicherweise zwei weiteren Mädchen.

Der Fall war erst 2019 öffentlich geworden, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern wurden 2020 jedoch eingestellt - wegen Verjährung, nicht aus Mangel an Beweisen, wie die Kommission bei der Vorstellung ihres 125-seitigen Berichts am Dienstagabend in dem Erzgebirgsort betonte.

Der Umgang mit den Vorwürfen sexualisierter Gewalt in Pobershau hat laut dem Bericht erhebliche Defizite der Landeskirche offenbart. So habe es zum Zeitpunkt der Übergriffe keine fachlich spezialisierte Struktur für Betroffene, Angehörige oder kirchliche Mitarbeiter gegeben, heißt es. Auch als sich Opfer Jahre später dem damaligen Ortspfarrer anvertraut haben, hätten Interventionsstrategien gefehlt. Der Kirchenvorstand habe sich alleingelassen und mit der Situation überfordert gefühlt. Auf drei Seiten listen die Experten Empfehlungen für besseren Schutz vor sexualisierter Gewalt auf. Dazu gehören etwa regionale Interventionsteams und eine proaktive Aufarbeitung bereits bekanntgewordener Fälle.

Die Kirche hat teilweise reagiert. Dazu gehört den Angaben nach die Pflicht zur Erarbeitung von Schutzkonzepten, die Vorlage von Führungszeugnissen der Mitarbeiter und ein Verhaltenskodex. Die Sensibilität und das Bewusstsein für dieses Thema wachsen, konstatiert die Präventionsbeauftragte des Kirchenbezirks Marienberg, Agnes Bost, stellt aber auch klar: 100-prozentigen Schutz vor solchen Übergriffen werde es nicht geben können.

Der Fall Pobershau ist längst nicht der einzige, der evangelische Christen in Sachsen erschüttert. Im Bericht wird etwa auf sexuellen Missbrauch durch einen früheren Kirchenmusikdirektor im benachbarten Marienberg verwiesen. Gravierende Vorwürfe werden zudem gegen den früheren Jugendwart und Diakon Kurt Ströer erhoben. Der Missbrauch durch den 2013 verstorbenen Kirchenmann war lange verdeckt gehalten und erst 2021 öffentlich gemacht worden. Die Fälle reichen bis in die 1960er und 1970er Jahre. Bisher haben sich 34 Betroffene gemeldet.

Anfang des Monats hatte die Gemeinschaft Moritzburger Diakone und Diakoninnen konstatiert: «Den Betroffenen ist durch Kurt Ströer großes Leid widerfahren. Die Erfahrung geistlichen Missbrauchs und sexualisierter Gewalt hat Biografien geprägt und bleibende Verletzungen mit sich gebracht.» Ströer habe seine Rolle als Jugendwart ausgenutzt, um Schutzbefohlene und ihm anvertraute Personen zu missbrauchen. «Er hat damit Straftaten begangen.»

Die evangelische Landeskirche hat nach eigenen Angaben in den vergangenen Jahren 50 Betroffenen sexualisierter Gewalt finanzielle Unterstützung gezahlt. Dabei geht es um Übergriffe durch Mitarbeiter in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen. Die Unterstützungs- und Anerkennungsleistungen summieren sich den Angaben zufolge auf mehr als eine halbe Million Euro.

Menschen, die sexualisierte Gewalt in Kirche und Diakonie erlitten haben, können seit 2012 bei einer Meldestelle Anträge auf Anerkennungs- und Unterstützungsleistungen stellen, wenn die Vorfälle zum Beispiel strafrechtlich verjährt sind oder institutionelles Versagen vorliegt. Seit 2020 gibt es zudem eine unabhängige Anerkennungskommission. Ihre Aufgabe ist es, «betroffenenorientiert durch die Zuerkennung unterstützender materieller und immaterieller Leistungen das erlittene Unrecht anzuerkennen».

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