Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) hält eine bessere frühkindliche Bildung für notwendig, um Mädchen und Jungen das Lernen in der Schule zu erleichtern. «Wir sind in der Situation, Kindern mit erheblichen Entwicklungsunterschieden die möglichst gleichen Chancen in einem Bildungssystem zu geben», sagte der Minister im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Dresden.
Alle von ihnen sollten die Möglichkeit haben, einen für sie erreichbaren Schulabschluss zu machen. «Darauf ist das Bildungswesen noch zu wenig vorbereitet. Es geht darum, die so notwendigen Grundkompetenzen für einen Schulbesuch besser auszubilden.»
«Es gibt heute Erstklässler, die nicht mehr in Lage sind, fünf Meter rückwärts zu laufen oder die ihre Schuhe nicht zubinden können. Manchen fehlt es an Mengenvorstellungen, etwa dass vier mehr als drei ist», erklärte der Minister.
Das grundlegende Problem seien nicht zu hohe Anforderungen, es fehle vielmehr an grundlegenden Kompetenzen. «Die Kinder bekommen aus welchen Gründen auch immer Grundlagen von ihren Eltern nicht mehr vermittelt. Das staatliche System muss also früh damit beginnen, die Voraussetzungen für einen Schulbesuch zu legen», sagte Piwarz. «Das sind einfache Dinge, die früher als selbstverständlich vorausgesetzt wurden und die heute nicht mehr da sind.»
Piwarz zufolge führt das zu einer Situation, in der sich die Schule um Dinge kümmern muss, für die sie eigentlich gar nicht da ist. «Wir müssen das im vorschulischen Bereich leisten und eine gewisse Kultur etablieren, dass Bildungsinhalte verpflichtend sind. Das sind zum Teil Dinge, die zwingend in den Elternhäusern vermittelt werden müssten», sagte der Minister. «Ich nehme aber zur Kenntnis, dass nicht alle Elternhäuser das schaffen oder nicht mehr schaffen wollen.»
Dabei gebe es eine hohe Verantwortung der Familien für die Entwicklung ihrer Kinder. «Der Staat kann nicht alle Defizite ausmerzen. Das wird auf Dauer nicht funktionieren.»
Laut Piwarz weisen Erstklässler heute Entwicklungsunterschiede von zwei Jahren und mehr auf. Das habe bei weitem nicht nur etwas mit Migration zu tun. «Es gibt eine zunehmende Heterogenität in der Gesellschaft. Auch innerhalb der deutschen Gesellschaft sind die Fliehkräfte größer geworden. Die Unterschiede sind eklatant.»
Neben der Integration ausländischer Schüler sei auch die Inklusion eine große Herausforderung. «Manchmal treffen beide Herausforderungen zusammen. Wir diskutieren gerade im Landtag über eine Verteilung der Ressourcen nach einem Sozialindex», berichtete der Minister. «Bestimmte Schulen sollen mehr Personal oder Geld erhalten, wenn es besonderen Bedarf gibt.»
Den Begriff Brennpunktschule will Piwarz in diesem Zusammenhang nicht verwenden. «Ich nutze den Begriff nicht, weil er eine Stigmatisierung bedeutet. Wir sprechen von Schulen mit besonderen Herausforderungen und in besonderen Lagen.» Tatsächlich falle dort infolge der Zusammensetzung der Schülerschaft und großer Entwicklungsunterschiede mehr Arbeit an.
Zwar könne man wegen des Lehrermangels derzeit nicht mehr Lehrkräfte an diese Schulen schicken. «Wir versuchen aber, eine Art Bypass zu legen, um mit Assistenzkräfte zu unterstützen. Man dürfe nicht zulassen, dass einige Schulen über Gebühr beansprucht werden und müsse die Lasten gleichmäßig verteilen.
Piwarz plädiert auch dafür, Schülerinnen und Schüler mit einer gesunden Leistungserwartung zu konfrontieren. «Kinder sollten keine Angst vor Klassenarbeiten oder Prüfungen haben. Sie sollen aber unter Beweis stellen, was sie gelernt haben und das auch anwenden können.»
Das Leben biete später genügend Situationen für Prüfungen - ob nun im Beruf oder im persönlichen Leben. «Darauf sollen junge Menschen vorbereitet werden, das sollten wir als Schule tun. Wir haben hier den Vorteil, dass wir die jungen Menschen noch auffangen können, wenn etwas schief gelaufen ist.» Im Erwachsenenleben werde so ein Reparaturmodus nicht immer zur Verfügung stehen, findet der Minister.
Copyright 2023, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten