Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) blickt angesichts des Lehrermangels mit großer Sorge auf das neue Schuljahr in Sachsen. «Ich habe kaum ein Schuljahr erlebt, was personell so schlecht beginnt wie dieses Schuljahr», sagte GEW-Chefin Uschi Kruse am Mittwoch in Dresden. Licht am Ende des Tunnels sei ohne Änderungen der bisherigen Schulpraxis, ohne neue Ideen und ohne eine grundsätzliche Korrektur am Entwurf des Haushaltsplanes nicht möglich. Die Hoffnung auf Besserung sei aber außerordentlich gering.
Nach den Worten Kruses verschlechtert sich die personelle Situation an den Schulen im Vergleich zum vergangenen Schuljahr noch einmal deutlich. Schon zu Beginn des Schuljahres 2021/2022 habe man die Stundentafel in keiner Schulart abdecken können. Damals hätten etwa 1000 Lehrkräfte gefehlt. Dieses Minus nehme man mit ins neue Schuljahr. Die Bedingungen würden sich nun weiter verschlechtern. Zu Beginn des dritten «Corona-Schuljahres» würden allein für die Minimalausstattung 3000 Stellen fehlen.
«Das ist bildungspolitisch eigentlich ein Offenbarungseid», sagte die GEW-Chefin. Selbst der Bedarf in Dresden und Leipzig sowie an Gymnasien könne nicht mehr gedeckt werden. Die an Oberschulen und Förderschulen geplanten Einstellungen seien dieses Mal nur zu 31 Prozent gelungen. Man könne nicht einmal mehr die altersbedingten Abgänge kompensieren. Kruse rechnet damit, dass Schulen ihre Stundentafel kürzen und etwa auf eine Sportstunde verzichten. Zudem würden Lehrer von einer Klasse in die andern pendeln müssen.
Die Gewerkschaft geht davon aus, dass der Ausfall von Unterricht steigen wird. Im letzten Jahr vor der Pandemie fielen über alle Schularten hinweg 5,2 Prozent des Unterrichtes aus. In zehn Schuljahren sei das insgesamt ein Ausfall von einem halben Jahr, rechnete Kruse vor. Man müsse mit einem «Schuljahr der Unsicherheit» rechnen. Noch seien etwa die Folgen der Energiekrise für Schulen nicht absehbar. Als Beispiel nannte sie das Beheizen der Schulen und den Schwimmunterricht.
Laut Kruse braucht Sachsen perspektivisch einen «Befreiungsschlag», um den Lehrerbedarf langfristig zu sichern. Die Verbeamtung habe die Probleme augenscheinlich nicht gelöst. Allerdings sei sie in der Zwischenzeit alternativlos geworden. Ohne Verbeamtung wäre das Ausmaß des Mangels vermutlich noch viel größer. Die GEW-Vorsitzende schlug einen Runden Tisch vor, um die «Schwarmintelligenz» vieler zur Lösung der Probleme zu nutzen. Es gehe auch um die Frage, wie man Lehrer motiviert, um sie bei der Stange zu halten.
«Die bisherigen Maßnahmen, um den Mangel an Lehrkräften zu stoppen, sind nicht erfolgreich genug», erklärte Linke-Politikerin Luise Neuhaus-Wartenberg. «Von flächendeckender Schulsozialarbeit sind unsere Schulen weit entfernt. Wenn junge Lehramtsstudierende während ihrer Schulpraktika von einem Realitätsschock berichten, lässt das tief in unser Schulsystem blicken.» Sachsens Kultusministerium hat für Donnerstag zur traditionellen Pressekonferenz zum neuen Schuljahr eingeladen. Der Unterricht beginnt am kommenden Montag.
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