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Haben Ost und West wirklich kaum mehr Unterschiede?

pixabay.com © iamanilozturk (CC0 Public Domain)
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Der Ost-West Konflikt hat sich gewandelt. Auch heute gibt es noch Strukturprobleme. In einigen Regionen stellt das eine Herausforderung dar.

Im Herbst 2020, als sich der Jahrestag der Deutschen Einheit zum 30. Mal jährte, hieß es, dass die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland „fast verschwunden“ seien. So formulierte es Andrea Dernbach in ihrem Beitrag im Tagesspiegel. Die Journalistin nimmt Bezug auf eine Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, das weniger ein Ost-West-Gefälle, wohl aber Nord-Süd- und vor allem ein Stadt-Land-Gefälle ausmachen konnte. Doch was bedeutet das für die Region und die Menschen, die dort leben?

Das waren die wichtigsten Ergebnisse der Studie:

Der Fokus derer, die die Studie initiiert und umgesetzt haben, waren die Themen Gesundheit, Arbeitsmarkt und Bevölkerungsentwicklung. Auch Vermögen, Einkommen und die Kriminalität wurden untersucht. Das waren die wichtigsten Ergebnisse in der Kurzzusammenfassung: 

Bevölkerung und Abwanderung 

Die Abwanderungswellen seien bereits zum Jahr 2015 deutlich abgeebbt, heißt es. Sogar ein Rückzug oder ein Zuzug nach Osten sei zu verzeichnen, der allerdings nicht die Massen nivellieren kann, die abgewandert sind. Mit Blick auf die Bevölkerung lassen sich also durchaus Unterschiede erkennen. Im Osten Deutschlands leben gerade mal so viele Menschen wie im Jahr 1905. Auch die Zuwanderung in die Boom-Regionen kann dies nicht stoppen. 

Den stärksten Bevölkerungsrückgang erwarten die Statistiker in Sachsen-Anhalt. Laut dem Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sind geringe Nachfragen nach Wohnraum auch dafür verantwortlich, dass der Bevölkerungsrückgang auch im Abriss von Bestandsgebäuden deutlich wird. Vor allem alte und schlecht sanierte Gebäude werden deswegen abgerissen und die Kommunen bekommen dafür sogar eine Rückbau-Wohngebäude-Förderung

Unterm Strich für ein ausgeglichenes Gefüge sorgen letztlich also vor allem einzelne Orte. Bis ins Jahr 2035 könnte der Rückgang anhalten. Das Pendant bildet Berlin, das um weitere elf Prozent wachsen könnte. In Leipzig könnte der Zuwachs noch stärker ausfallen. Auch Magdeburg, Jena, Weimar und Halle seien beliebt. Ein ähnliches Bild zeigt sich aber auch im Westen Deutschlands: Bayern und Hamburg werden immer beliebter; im Saarland leben hingegen nur wenige Menschen.

Abbildung 2: Im beliebten Leipziger Ortsteil Gohlis kostet ein Einfamilienhaus noch die Hälfte von einem 125-Quadratmeter Haus in Hamburg-Wandsbek. Doch die Bodenrichtwerte in Leipzig steigen mit der Beliebtheit der Stadt.

Abbildung 2: Im beliebten Leipziger Ortsteil Gohlis kostet ein Einfamilienhaus noch die Hälfte von einem 125-Quadratmeter Haus in Hamburg-Wandsbek. Doch die Bodenrichtwerte in Leipzig steigen mit der Beliebtheit der Stadt.

Bodenrichtwerte und Wohnraumangebot

Unmittelbare Auswirkungen hat die Bevölkerungsentwicklung in einem Bundesland auf den Wohnraum und den Bodenrichtwert. In Leipzig-Gohlis beispielsweise, dem seit langer Zeit beliebtesten Viertel von Leipzig, liegt der Bodenrichtwert für ein Einfamilienhaus aus dem Jahr 2010 mit 125 Quadratmeter Wohnfläche, 500 Quadratmeter Grundstücksfläche, fünf Zimmer und mit normaler Ausstattung bei einem Kaufpreis von 659.000 Euro.

Zum Vergleich: In Weimar würde dasselbe Objekt im Osten der Stadt 453.000 Euro kosten, was auch die Aussage unterstreicht, dass Weimar zu den Orten gehört, die noch günstiger sind und gerade „aufholen“. Im beliebten Hamburger Ortsteil Wandsbek liegen hingegen für ein ähnliches Wohnobjekt Bodenrichtwerte von 1.276.000 Euro vor. 

Unterm Strich zeigt sich also auch, dass die Nachfrage einen entscheidenden Einfluss auf die Bodenrichtwerte hat. So sind in den neuerdings sehr beliebten Orten, also in Weimar, Magdeburg, Halle und Jena, auch höhere Bodenrichtwerte zu erwarten, wenn die Nachfrage steigt und nicht unmittelbar gedeckt werden kann. Auch Görlitz gilt als Hidden Champion, vor allem für ambitionierte Forscher und Wissenschaftler. Im Casus wird interdisziplinäre Systemforschung betrieben – und die Forscher, die dort aktiv werden, leben auch im Ort.

Einkommen und Vermögen

Auch wenn der Bodenrichtwert eines Einfamilienhauses in Leipzig rein statistisch nur halb so teuer ist wie in Hamburg, so sind 659.000 Euro doch eine große Investition, die nicht von jedermann zu stemmen ist. Mit durchschnittlich 14 Prozent weniger Einkommen im Osten, lassen sich derart große Anschaffungen nur schwerlich und mit Verzicht umsetzen – oder nur, wenn Mann und Frau gemeinsam für den Traum vom Eigenheim arbeiten gehen. Dann hilft im Osten auch ein Vorteil, bei dem der Westen Deutschlands nach wie vor Nachholbedarf hat – bei der Gender-Paygap. Das bedeutet, dass das Einkommen von Männer und Frauen sich im Osten gerade mal um sieben Prozent unterscheidet; im Westen liegen diese Werte bei 21 Prozent.

Gesundheit der Menschen

Bei der Lebenserwartung der Menschen gebe es nur noch wenige Unterschiede zu beobachten. Frauen werden sowohl im Osten als auch im Westen 83 Jahre alt. Die Männerriege liegt etwas dahinter. Dennoch hat sich die medizinische Versorgung – vor allem bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen – deutlich verbessert. Sogar die jüngere Generation achte nun mehr auf die Gesundheit. 


Abbildung 3: Der Stadt-Land-Unterschied wird deutlicher als die seit 30 Jahren thematisierte Lücke zwischen Ost- und Westdeutschland.

Fazit: Ost-West-Denken ist passé. Stattdessen zeigen sich Strukturunterschiede. 

In den ländlichen Regionen Bayerns boomt der Tourismus. Dorthin zieht es diejenigen, die in der Großstadt leben und dem Verkehrslärm entfliehen wollen – für eine Auszeit zwischen Tieren und jeder Menge Natur. Was den Städter freut, ist das Leid der Landbevölkerung, denn nur vom Tourismus zu leben, ist eine gefährliche Idee. 

Richtig gelesen: Das beliebte Bundesland Bayern hat dieselben Strukturprobleme, die ähnlich auch im Osten Deutschlands zu beobachten sind. Auf dem Land mangelt es an Infrastruktur; in den Städten freuen sich die Zuzügler noch (!) über günstigere Preise, beispielsweise für Wohnraum. Die Herausforderung, die es nun zu stemmen, gilt, ist also auch die letzten Ungleichgewichte zwischen Ost zu West zu beseitigen, etwa die Einkommenslücke. Wohl aber gilt es hier wie dort Strukturen zu schaffen, damit das Land nicht zum Brachland wird.

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Abbildung 1: pixabay.com © iamanilozturk (CC0 Public Domain

Abbildung 2: pixabay.com © lapping (CC0 Public Domain

Abbildung 3: pixabay.com © holzijue (CC0 Public Domain