Seit Wochenbeginn lassen Einwohner und Polizei nichts unversucht, um die neunjährige Valeriia in Döbeln zu finden. Mit Tauchern, Drohne, Hubschrauber, Spezialhunden und Hunderten Polizisten wurde nach ihr gesucht. Sogenannte Super-Recogniser sichteten Mengen an Bildern und Videos. Viele Einwohner inspizierten ihre Keller, Schuppen oder Gärten und auch private Suchtrupps sind unterwegs. Doch von dem Mädchen fehlt jede Spur. Weder ihr rosafarbener Ranzen noch ein Kleidungsstück oder irgendein anderer Hinweis wurde gefunden. «Wir schließen nach wie vor nichts aus», betont Polizeisprecher Andrzej Rydzik. Dazu zähle eine Entführung, aber auch, dass sich das Kind versteckt hat oder verunglückt ist.
«Die Betroffenheit in der Bevölkerung ist sehr groß», sagt Döbelns Oberbürgermeister Sven Liebhauser (CDU). «Wir alle hoffen, dass sie schnellstmöglich gesund und munter gefunden wird.» Für die Menschen in Döbeln sei das eine Ausnahmesituation. «Auch als Vater geht mir das sehr nahe.» Er beobachte in seiner Stadt aber viel Solidarität und Hilfsbereitschaft, für die er sehr dankbar sei.
Angesichts der großen Ungewissheit darüber, was mit Valeriia passiert ist, äußern sich Eltern im Internet besorgt. Manche wollen ihre Kinder nicht mehr allein zur Schule gehen lassen, andere verweisen auf Berichte, wonach Kinder aus Autos heraus von Fremden angesprochen wurden. «Das ist alles sehr schlimm», bekennt eine ältere Frau in der Fußgängerzone der Stadt. Es werde viel über den Fall gesprochen. Viele ihrer Bekannten vermuteten, dass das Mädchen längst außer Landes sei, möglicherweise zurück in ihrer Heimat.
Auch in diese Richtung ermittelt die Polizei, hat nach eigenen Angaben Kontakt zu Kollegen in der Ukraine, aber auch nach Polen und Tschechien. Doch der Fokus richtet sich vor allem weiter auf die Suche in der 24.000 Einwohner zählenden Stadt im Landkreis Mittelsachsen. Am Freitag suchten dort laut Polizei erneut etwa 180 Polizisten. «Wir versuchen weiterhin, jeden Stein umzudrehen», erklärt Rydzik. Er schätzt, dass ein Drittel der Stadt tiefgründig inspiziert wurde. Doch auch die erneute Suche brachte vorerst keine konkreten Hinweise.
Um das Vorgehen zu koordinieren, ist das Stadtgebiet auf einer Karte der Polizei in kleine Quadrate aufgeteilt, die Stück für Stück abgearbeitet werden. Auch mehrere Brachen sollen gezielter in den Blick genommen werden, falls sich das Mädchen dort versteckt hat.
Die verzweifelte Suche nach Valeriia ruft den Fall des sechsjährigen Arian aus dem niedersächsischen Bremervörde-Elm in Erinnerung. Er wird seit dem 22. April vermisst. Valeriia stammt aus der Ukraine, lebt seit 2022 mit ihrer Mutter in Deutschland, der Vater ist in der Ukraine geblieben. Am Montagmorgen war sie zuletzt gesehen worden, als sie sich auf den Weg zur Schule machte. Doch dort kam sie nie an. Bei der Suche nach ihr wurde auch in der Fernsehsendung «Aktenzeichen XY ungelöst» Mitte der Woche im ZDF die Vermisstenmeldung verbreitet. Eine heiße Spur habe sich aber auch da nicht ergeben, so die Polizei.
In Deutschland werden jedes Jahr Tausende Kinder im Alter von bis zu 13 Jahren als vermisst gemeldet. Zum Glück können die meisten ausfindig gemacht werden. Laut Bundeskriminalamt lag die Aufklärungsquote in den vergangenen sechs Jahren bei 99,8 Prozent. «Die noch nicht geklärten Fälle beinhalten auch Fälle von Kindesentziehung und Fälle sogenannter unbegleiteter Flüchtlingskinder, die aus ihren Unterbringungseinrichtungen abgängig sind», so die Behörde. Hinzu kommen sogenannte Dauerausreißer.
Zum 1. Juni waren bundesweit 1756 Kinder im polizeilichen Informationssystem als vermisst zur Fahndung ausgeschrieben, wie das Bundeskriminalamt auf dpa-Anfrage informiert. In Sachsen sind es laut Landeskriminalamt derzeit 86 Kinder. «Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass sich eine Vielzahl aller Vermisstenfälle nach spätestens 14 Tagen erledigt», erklärt eine Sprecherin. Das betreffe etwa 80 Prozent der Vermisstenfälle.
Die Suche nach Valeriia wird laut Polizei auch dieses Wochenende fortgesetzt. «Wir suchen weiter», versichert Rydzik, auch wenn es seine Sisyphusarbeit sei. «Die Motivation der Kollegen ist ungebrochen.» Viele seien selbst Eltern und auch ihnen gehe trotz aller Professionalität das Verschwinden eines Kindes nahe. «Wir haben den Antrieb, das hier zu einem guten Ende zu führen.»
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