Auf dem Vorplatz des Landesschulamts Leipzig herrscht am heutigen Dienstagnachmittag eine angespannte Stimmung. Etwa 1500 Lehrkräfte haben sich mit roten Outfits und Plakaten versammelt, um lautstark gegen die Maßnahmen des sächsischen Kultusministeriums zu protestieren. Mit Botschaften wie „Entlastung statt Belastung", "Erst denken, dann handeln, Herr Minister!", "Wir wollen gestalten, nicht ausbrennen", "200 Kinder, eine pädagogische Fachkraft, keine Pointe" oder „Mit Vollgas ins Burnout“ machen sie ihrem Unmut Luft. Lautsprecher tönen Musik von Herbert Grönemeyer, während aus der Menge rote Karten hochgehalten werden. Für viele anwesende Lehrkräfte ist die geplante Reform eine große Belastung und sie fühlen sich nicht gehört.
Besorgte Lehrer vor der Landesschulbehörde in der Leipziger Nonnenstraße / Quelle: Arne Frank
Der Protest richtet sich insbesondere gegen die Pläne von Kultusminister Conrad Clemens. Seine Vorschläge zur Reduzierung der Unterrichtsausfälle, wie die flexiblere Einsetzbarkeit der Lehrkräfte an verschiedenen Schularten und die Erhöhung ihrer Pflichtstunden, stoßen auf Ablehnung. Auch der Eindruck, dass Clemens' Besuche bei „100 Schulen in 100 Tagen“ mehr als PR-Aktion denn als ernsthafter Austausch gesehen werden, wird von Claudia Maaß, einer Lehrerin und Funktionärin der Gewerkschaft GEW, vehement vertreten. Sie betont, dass die gegenwärtigen Ideen keine Lösung für die eigentlichen Probleme darstellen.
Kultusminister Conrad Clemens ist Zielscheibe der Kritik / Quelle: Arne Frank
Kritik gibt es auch von Berufsschullehrer Jens Nelle. Er bemängelt, dass die in Auftrag gegebene Lehrerbefragung vom Schulressort ignoriert wird, während stattdessen überhastet neue Fakten geschaffen werden sollen. Nelle fordert mehr Anreizsysteme zur Gewinnung von Studierenden in Lehramtsstudiengängen und eine Verringerung der Studienabbrüche, statt die bereits beschäftigten Lehrkräfte weiter zu belasten.
Gesine Großert, eine Schülerin und Vorsitzende des Leipziger Stadtschülerrats, schließt sich dem Protest ebenfalls an. Sie schildert, wie wichtig ausgeglichene Lehrkräfte für den Lernerfolg der Schüler sind. Anhaltender Stress und Frustration führen zu einem unpersönlichen Schulalltag und verschlimmern die Situation.
Weitere Demonstrierende zweifeln an der langfristigen Zielsetzungen des Projekts zur Bildung in Sachsen bis 2030. Sie betrachten die Harmonisierung der verschiedenen Reformansätze als herausfordernd und befürchten, dass dies die Motivation und das Vertrauen sowohl der Lehrkräfte als auch der Schüler beeinträchtigen könnte. Die Besorgnis über die Gerechtigkeit der neuen Regelungen und Solidarität vor allem mit älteren Lehrkräften ist enorm. Insbesondere die Änderung des Lehrdeputats für erfahrene Lehrkräfte wird stark kritisiert, da viele von ihnen diese als ungerecht empfinden.
Das sächsische Kultusministerium plant, den Unterrichtsausfall durch ein Maßnahmenpaket zu reduzieren. Ein zentraler Punkt ist die Mehrarbeit für Lehrkräfte, insbesondere durch Änderungen bei der sogenannten Altersermäßigung. Bisher konnten Lehrkräfte ab 58 Jahren eine Wochenstunde weniger arbeiten, ab 60 zwei und ab 61 drei Stunden. Diese Regelung soll künftig erst ab 63 Jahren gelten und betrifft insbesondere Lehrkräfte, die nach dem Geburtenknick nach der Wiedervereinigung gezwungen waren, in Teilzeit zu unterrichten und nicht verbeamtet wurden.
Für die kommenden Tage sind weitere Protestaktionen geplant, darunter ein großer Aufmarsch am Mittwoch in Chemnitz und am Donnerstag eine Veranstaltung in Dresden vor dem Kultusministerium. Minister Clemens hat angekündigt, am Donnerstag dabei zu sein. Zudem findet auf Antrag der Grünen am Freitag im Ausschuss für Schule und Bildung des Landtags eine öffentliche Anhörung zu den Plänen statt, wobei der Landtag nicht verhindern kann, dass die Staatsregierung die Verordnung zur Arbeitszeit der Lehrkräfte ändert, was für Ende Mai geplant ist, sodass die Neuerungen im kommenden Schuljahr in Kraft treten würden.
Ungeachtet der Diskussionen und Anhörungen im Landtag bleiben die Lehrer bereit, ihre Stimme zu erheben und Änderungen zu verlangen, solange sich an den Plänen nichts ändert. Heute wurden Ort und Zeit des Protests wohl auch bewusst für die Mitarbeitenden der Landesschulbehörde in Leipzig geplant. Denn dienstags ist in der Nonnenstraße von 13 Uhr bis 18 Uhr offizielle Besucherzeit und aufgrund der Demonstration vor der Tür, sollten auch denjenigen, die sich die Veränderungen mit ausgedacht haben mit dem Unmut der Lehrer direkt in Kontakt kommen und wenn es dabei auf dem Rückweg von der Arbeit aufgrund der Straßensperrungen zu Verzögerungen bei den Behördenmitarbeitenden gekommen sein sollte, so sei das durchaus nicht ungewollt gewesen, wie man vor Ort hörte.