Vom Nationalsozialisten «mit Haut und Haaren» zum geläuterten Aussteiger? In seiner ersten öffentlichen Aussage überhaupt hat der verurteilte NSU-Unterstützer André E. ein für viele überraschendes Bild gezeichnet: Mit seiner rechtsextremistischen Vergangenheit will er komplett gebrochen und abgeschlossen haben. Er habe sich gewandelt, wolle nicht mehr gegen das Gesetz verstoßen und einfach nur noch ein ganz normales Leben führen, sagt E. am Montag als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags in München. Und: Auch ein Nazi habe eine zweite Chance verdient.
Das soll also der E. sein, der bis zuletzt als eine der engsten Bezugspersonen des «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU) galt? Der E., den sein Anwalt im NSU-Prozess als Nationalsozialisten «mit Haut und mit Haaren» bezeichnete? Der E., der sich einst «Die Jew Die» («Stirb, Jude, stirb») auf den Bauch tätowieren ließ?
E. betont wiederholt, von den Morden der NSU-Terroristen habe er damals nicht gewusst. «Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich den Kontakt abgebrochen», beteuert er. Und «wahrscheinlich» wäre er dann sogar zur Polizei gegangen. Er hätte niemals Menschen helfen wollen, die Menschen umbringen. «Es tut mir ja auch alles so leid», sagt er.
Der NSU war eine Neonazi-Terrorzelle, bestehend aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die von 2000 an jahrelang unerkannt zehn Morde in ganz Deutschland verübte. Ihre Opfer waren neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie eine deutsche Polizistin. Mundlos und Böhnhardt verübten zudem zwei Bombenanschläge in Köln mit Dutzenden Verletzten. Die beiden töteten sich 2011, um ihrer Festnahme zu entgehen - erst damit war der NSU aufgeflogen. Zschäpe, die einzige Überlebende des Trios, wurde 2018 nach gut fünf Jahren Prozessdauer zu lebenslanger Haft verurteilt.
E. war einer von vier weiteren Mitangeklagten im Prozess. Das Gericht verurteilte ihn am Ende wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu zweieinhalb Jahren Haft. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass E. dem NSU-Trio in den Jahren 2009, 2010 und 2011 mehrere Bahncards organisiert hatte, die auf ihn und seine Frau ausgestellt waren - aber Fotos von Böhnhardt und Zschäpe trugen.
2000 und 2003 mietete E. laut Urteil Wohnmobile an, die der NSU bei zwei Raubüberfällen und einem Bombenanschlag in Köln benutzte. Außerdem gab er Zschäpe 2007 den Ausweis seiner Frau, damit sie sich bei einer Zeugenvernehmung bei der Polizei mit falschen Personalien vorstellen konnte. Er begleitete sie auch zu dem Termin. Aus Sicht des Münchner Oberlandesgerichts ahnte er damals aber noch nichts von den Plänen der Terroristen. Es sprach E. daher in diesen Punkten frei. Die Bundesanwaltschaft legte gegen das Urteil, das damals auf viel Kritik und Unverständnis stieß, erfolglos Revision ein: Der Bundesgerichtshof bestätigte im Dezember 2021 E.'s Teilfreispruch.
E. berichtet im Ausschuss - oft unter ungläubigem Staunen der Abgeordneten - von seiner Zeit als Nazi: «Mein Hauptziel war damals, auf Konzerte zu fahren und Spaß zu haben.» Er sei kein «völkischer Nazi» gewesen, sondern ein junger Skinhead, der auf Konzerte gefahren sei und viel getrunken habe. «Das war halt für uns unser Verein.» Und die Tätowierung? Aus «Doofheit» habe er sich die tätowieren lassen, weil das der Titel eines seiner Lieblingssongs gewesen sei. Seine damalige rechtsextremistische Einstellung räumt er freilich ein.
Warum das Trio untergetaucht war, zu dem er jahrelang - nach eigenen Worten «sporadisch» - Kontakt hielt, will E. nicht gewusst haben. Und Zschäpe habe ihm auch erst 2007 von den Banküberfällen berichtet. Das sei sein Fehler gewesen, dass er dann nicht zur Polizei gegangen sei.
Zudem weist E. zurück, früher Kontakte nach München oder Nürnberg gehabt zu haben - dort ermordeten die NSU-Terroristen fünf Menschen. Kartenausschnitte von Nürnberg, die man später bei ihm fand, habe er womöglich für die Anreise zu einem Vorstellungsgespräch angefertigt.
Inzwischen habe er die «Die Jew Die»-Tätowierung und anderes «nationalsozialistisches Zeug» aus seiner «Vergangenheit» entfernen oder überarbeiten lassen, berichtet E. Heute sei er kein Nationalsozialist mehr, «ganz im Gegenteil». Heute sei ihm beispielsweise die Herkunft von Menschen egal. «Ich habe mich tatsächlich gewandelt», beteuert E. «Ich bin froh, dass ich das alles hinter mir gelassen habe, und das soll auch so bleiben.» Er habe die Abkehr geschafft. «Für mich gibt es auch keinen Weg zurück mehr.»
Vor E. hatte auch Zschäpe bereits stundenlang Fragen des bayerischen Untersuchungsausschusses beantwortet, in der Haftanstalt in Chemnitz. Überraschende neue Erkenntnisse gab es aber bislang nicht. Insbesondere ist nach wie vor offen, ob und wo die NSU-Terroristen gegebenenfalls bislang unbekannte Helfer an den Tatorten hatten.
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