Mehr Expertise und technisches Knowhow sollen Sachsens Justiz gegen die wachsende Cyberkriminalität helfen. Die Ermittlungskapazitäten in diesem Bereich werden um zwei Schwerpunktstaatsanwaltschaften mit je drei Stellen für speziell dafür ausgebildetes Personal in Dresden und Leipzig verstärkt, wie Justizministerin Katja Meier (Grüne) am Montag in Dresden sagte. Sie arbeiteten eng mit der schon bestehenden Zentralstelle Cybercrime bei der Generalstaatsanwaltschaft zusammen. Zur künftig dreistufigen Struktur gehören zudem Sonderdezernate in den Staatsanwaltschaften Chemnitz, Görlitz und Zwickau. Damit solle das Vorgehen gegen gut organisierte und gut vernetzte sowie zunehmend aus dem Ausland agierende Täter effektiver und «schlagkräftiger» werden.
«Die seit Jahren steigenden Fallzahlen sind eine zunehmende Bedrohung der Gesellschaft, es bedarf daher einer effektiveren Bekämpfung», sagte die Ministerin. Nach ihren Angaben wurden für Deutschland 2022 das dritte Jahr in Folge über 130.000 Fälle erfasst. Verschiedene Studien gingen von einer erheblichen Dunkelziffer aus - nach Schätzungen werde nur etwa einer von zehn Fällen angezeigt. Dabei gebe es «einen eklatanten Anstieg der sogenannten Auslandstaten». Zum Teil existenzgefährdete Geschädigte lebten in Deutschland, die Täter aber seien im Ausland oder teils nicht identifizierbar.
In Dresden und Leipzig werden künftig herausgehobene Verfahren bearbeitet, in der Cybercrime-Zentralstelle auch solche «von besonderer Tragweite», wie etwa Angriffe auf bedeutende Infrastruktur, wie Generalstaatsanwalt Martin Uebele sagte. Er sprach von einer «signifikanten» Zunahme des Phänomens auch im Zuge der Digitalisierung und entgegen dem allgemeinen Kriminalitätstrend. «Cyberkriminalität ist eines der Felder, die boomen.»
Nach seinen Angaben nahm die Zahl der angezeigten Straftaten im Internet gegen IT-Systeme, oder wo diese Tatmittel seien oder Netzstrukturen angegriffen werden, in Sachsen seit 2018 zu - von 2280 auf 3457 im vergangenen Jahr. Angesichts von Künstlicher Intelligenz (KI) spreche nichts für eine Trendumkehr oder Stagnation, dafür müsse man sich wappnen.
Laut Uebele liefen 2018 bei den Staatsanwaltschaften im Freistaat Ermittlungen zu rund 6500 Cybercrime-Fällen - 2022 waren es mit etwa 13.700 mehr als doppelt so viele. In der ersten Hälfte diesen Jahres lag die Verfahrenszahl bei 8000. In der Regel liefen zwei Drittel gegen Unbekannt. Bei vielen davon sei der Ermittlungsaufwand «gigantisch» und auch technisches Knowhow gefordert. Uebele sieht auch wegen der Verunsicherung in der Öffentlichkeit Handlungsbedarf. So geben den Angaben zufolge bei Umfragen die meisten Menschen an, schon einmal Opfer von Cybercrime geworden zu sein oder Angst davor zu haben.
Robert Gutte, Leiter der Zentralstelle Cybercrime, geht davon aus, dass sich der Anteil der Taten in diesem Bereichs an der Gesamtkriminalität weiter erhöhen wird. Ein Schwerpunkt sei sogenanntes Cybertrading, wo Menschen über betrügerische Anlage-Plattformen im Netz um ihr Erspartes gebracht werden und gutgläubig investieren. «Vier- bis sechsstellige Beträge sind keine Seltenheit.» Betreut würden sie von Callcentern in Osteuropa - Georgien, Mazedonien, Albanien, Bulgarien.
In einem aktuellen Verfahren sind laut Gutte in Deutschland bisher 2600 Geschädigte identifiziert, man gehe aber von wohl mindestens 10.000 aus. Der Schaden liege nach Schätzungen im dreistelligen Millionenbereich, europaweit nahe der Milliarden. Und die Täter hätten mehrere Plattformen, «bestimmt 500». Im November 2022 wurden in einer konzertierten Aktion in Tiflis (Georgien) 22 Objekte durchsucht, 170 Server samt Unmengen von Daten beschlagnahmt sowie Handys und Computer. Ein mutmaßlicher Täter wurde festgenommen und ist in Dresden in Untersuchungshaft.
«Wir haben aktuell 24 Beschuldigte», sagte Gutte. Aber die tatsächliche Größe der Gruppierung könne nur geschätzt werden. Eine normale Staatsanwaltschaft wäre mit so einem Fall auch deshalb überfordert, weil dabei zig Konten und Geldströme dort zu verfolgen seien, die mittels Kryptowährung verschleiert würden.
Die Aufklärungsquote bei Cybercrime in Deutschland ist laut Gutte mit um die 30 Prozent sehr gering, zudem kämen Täter hier selten vor Gericht. Aber Netzwerke würden zerschlagen und weitere Schäden vermieden, teilweise könnten beschlagnahmte Geldwerte oder Vermögenswerte für Rückzahlungen an hiesige Opfer genutzt werden.
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