Jetzt bin ich 40 Jahre und als Neujahrsvorsatz 2020 habe ich mir vorgenommen wieder mehr Rad zu fahren. Nicht nur ins Büro, sondern auch eine größere Tour. Mir war ziemlich schnell klar, dass es wieder an die Ostsee gehen würde. Nur wie bekommt man das organisiert? Mittlerweile bin ich nicht nur seit fast 10 Jahren verheiratet, sondern habe auch zwei wunderbare 9-jährige Jungs, die sich so eine Tour noch nicht vorstellen können. Ziemlich schnell war dann klar, dass ich allein fahre und die Familie einfach eine Woche später nachkommt.
Mein altes Rad von damals hatte ich etwas überholt – neuer Antrieb und Umstellung auf Dynamo. Doch Little John Bikes wollte unbedingt, dass ich mit dem aktuellen Modell Kalkhoff Endeavour 30 fahre und es auf der Tour teste. Da habe ich nicht nein gesagt. ;-)
Ursprünglich war die erste Etappe von Dresden nach Bad Muskau geplant. Als ich dann aber die Tour über die sozialen Medien geteilt habe, hat sich Arielle Kohlschmidt von der Raumpionierstation Oberlausitz gemeldet und mich zu ihnen eingeladen. Ich habe sehr gern angenommen und bin die 115 Kilometer nach Klein Priebus gefahren. Ohne Karte, nur mit Google Maps, was grundsätzlich in Sachsen noch ganz gut funktioniert hat. Einziges Problem war, dass mich Google mitten durch ein militärisches Übungsgebiet lotsen wollte, die Beschilderung aber klar sagte, dass das gefährlich sei und bei Zuwiderhandlung auch geahndet werden würde. Jan, der zweite Raumpionier, sagte mir, dass das schnell mal 4 bis 5 Tausend Euro kosten kann. Ich habe das Gebiet solange umfahren, bis die nette weibliche Stimme mir nicht mehr sagte: „In 200 Metern bitte wenden“.
Arielle und Jan sind sehr unkompliziert und megagastfreundlich. Ich habe gelernt, dass der Spruch, „wenn es keine Umstände macht“ totaler Blödsinn ist. „Na klar macht es Umstände, aber ich mache es gerne“, klärte Arielle mich auf.
Die beiden sind übrigens auch Teil des Netzwerks 1NITE TENT. Hier kann man als Radfahrer eine Nacht kostenfrei im Garten übernachten, direkt an der Neiße. Am nächsten Morgen wollte ich eigentlich nach Frankfurt/Oder fahren – Neuzelle ist es dann geworden.
Laut Routenplanung sollten es 97 Kilometer von Klein Priebus nach Neuzelle sein, am Ende waren es wieder 115 Kilometer, die mich wieder durch militärisches Schutzgebiet führten. Diesmal lag es aber nicht daran, dass Google dies unbedingt wollte, sondern vielmehr daran, dass in brandenburgischen Waldgebieten der Netzausbau nicht so gut ist und meine elektronische Karte somit sehr häufig die Verbindung verloren hat.
Neuzelle ist für zwei Dinge bekannt. Zum einen das im Jahr 1268 durch Heinrich den Erlauchten, Markgraf von Meißen und der Lausitz gegründete Zisterzienserkloster und das hier gebraute Bier. Den besten Blick auf das Kloster hat man aus dem gegenüberliegenden "Landhotel Prinz Albrecht“, das die Tourismusinformation Neuzelle für mich gefunden hat. Bei aller Digitalisierung, geht eben nichts über ein funktionierendes Mensch-zu-Mensch-Netzwerk, denn ohne Frau Hollatz wäre ich nicht so toll untergekommen.
Beeindruckt hat mich die Neuzeller Klosterkirche St. Mariä Himmelfahrt. Von außen sieht die Klosterkirche eher „normal“ aus, würde ich als Leihe sagen. Von innen aber, ist sie sehr detailreich und mit viel Hingabe zu Gott gestaltet wurden. Anders als in vielen anderen Klöster in Deutschland, gibt es seit dem 2. September 2018 wieder sechs katholische Mönche in Neuzelle. Auch wenn ich persönlich weniger mit der Kirche an sich zu tun habe, interessierte ich mich für den Tagesablauf der Mönche. Im Mittelpunkt des Lebens im Kloster stehen die täglichen Rituale der Gemeinschaft – die gemeinsame Feier des Chorgebets. Es beginnt morgens um 5 Uhr mit den Vigilien, gefolgt von Laudes, Terz, Sext, Non und Vesper mit der Komplet um 19.45 Uhr, mit der der Tag dann endet. Drumherum sind natürlich auch viele variierende Aufgaben des Tages gelegt.
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Der Mittwochmorgen startet um kurz nach 6 Uhr, denn heute stand mit 146 Kilometern die längste Etappe der Tour auf dem Plan – von Neuzelle nach Schwedt/Oder. Ich kann nicht verheimlichen, dass die letzten beiden Etappen mit jeweils fünf bis sechs Stunden auf dem Sattel keine Spuren hinterlassen haben und ich einen Heidenrespekt vor den Schmerzen hatte. Wenn man aber mal einen bestimmten Schmerzgrad erreicht hat, wird es nicht mehr viel schlimmer. So habe ich mich motiviert und bin erstmal zu Frühstück gegangen, habe gegessen und mir heimlich noch zwei Brötchen geschmiert und mitgenommen. Pssst.
Jetzt sollte es losgehen - 146 Kilometer über Landstraße, durch Dörfer und entlang des Oder-Neiße-Radwegs bis nach Schwedt an der Oder. Die ersten Kilometer brauchte ich zum Warmwerden und als meine Tracking-App dann die Marke von sieben Kilometern verkündetet, freute ich mich. Denn es waren 5 Prozent geschafft. 😊 Die erste Pause machte ich dann nach 50 Kilometern am Dorfteich von Podelzig (siehe Bild), wo ich mir eine zweite Radlerhose überzog, um den Polstergrad zu erhöhen. Danach ging es recht unspektakulär weiter.
Nach 101 Kilometer kam ich nach Zollbrücke. Ein kleines Örtchen, das mit allerlei Abwechslung glänzen kann. Das Theater am Rand lockt nicht nur Theaterfans, für Familien mit Kindern gibt es tierische Erlebnisse auf dem Ziegenhof und kulinarisch wird es in der Dammmeisterei. Ich beschränkte mich auf einen Liter kalte Cola. Mein Körper schrie irgendwie danach. Vielleicht auch deswegen, weil ich seit circa 30 Kilometern mit Gegenwind zu kämpfen hatte und der Energiebedarf recht hoch war. Die Pause in Zollbrücke war ungeplant etwas länger. Grund war ein plötzlicher Mittagsschlaf auf dem Damm – ich war locker 30 Minuten weg und bin mit neuer Kraft aufgewacht. Jetzt waren es noch 45 Kilometer durch nahezu unberührte Natur und vorbei an im 2. Weltkrieg zerstörte Brücken.
Leider wollte der Gegenwind nicht weniger werden. Umso dankbarer war ich dann, als ich zwischen den Bäumen die ersten Dächer von Schwedt sah, das muss so bei Kilometer 140 gewesen sein. Jetzt war es nicht mehr weit bis zum Wassersportzentrum, wo ich die nächste Nacht verbringen wollte. Das Zimmer hatte ich ganz unkompliziert am Abend zuvor für 37,50 Euro telefonisch gebucht. Auf die Frage, wie ich bezahlen könne, bekam ich die freundliche Antwort: „bar oder EC“. Ich hatte bis jetzt überall mit Apple Pay bezahlen können, also glaubte ich der Aussage erstmal nicht und probierte gleich bei der Ankunft, ob es nicht doch ginge. Die beiden Damen ließen sich auf den Test ein und siehe da, es ging. „Erst gestern habe ich einen Gast mit einer Apple Watch weggeschickt. Herrlich, es geht“, sagte die Dame an der Kasse irgendwie glücklich. Dann hieß es für mich nur noch: duschen, essen, schlafen.
Am nächsten Morgen sollte es nach Anklam gehen. Noch vor dem Frühstück kümmerte ich mich um die Unterkunft in Anklam und fand mit dem VIS a VIS eine tolle Unterkunft im Stadtzentrum, direkt am Steintor.
Die Tour von Schwedt nach Anklam war wenig spektakulär. Einen Teil der Strecke schloss ich mich einer Dreiergruppe an, in der wir uns wechselseitig Windschatten gaben, um den Gegenwind ein Schnippchen zu schlagen. Irgendwie passte Petrus das nicht und schickte noch etwas Regen, der mich dann bis nach Anklam begleitete. Sicherlich hätte die Mehrheit geflucht, ich war dankbar, da so die pollenverhangene Luft endlich gereinigt wurde. Der Heuschnupfen hatte mir schon zwei schlaflose Nächte beschert. Nach 132 Kilometern kam ich an und freute mich auf eine lange warme Dusche, denn trotz der Bewegung war ich durch den zum Teil starken Regen ausgekühlt.
Das VIS a VIS war bis vor zwei Jahren auch noch ein Restaurant. Nur leider schlägt der Fachkräftemangel auch hier zu. Es ist einfach kein zuverlässiges Personal mehr zu finden, darum hat sich Familie Schubert entschieden den Restaurantbetrieb einzustellen und sich auf Bed & Breakfast, Catering und Feierlichkeiten zu konzentrieren.
Nach einem Tag Pause stand die letzte und kürzeste Etappe von Anklam nach Putbus auf der Insel Rügen auf dem Plan. Fast zeitgleich startete der Rest der Familie mit dem Auto von Dresden, damit wir dann die nächsten beiden Wochen gemeinsam Urlaub machen können. Meine erste Pause machte ich im Hafen der Hansestadt Greifswald. Dort trank ich etwas und aß einen der letzten Proteinriegel, die ich mir für die komplette Tour gut eingeteilt habe.
Pause geschafft und weiter ging es die letzten Kilometer. Knapp 90 Minuten später war ich dann schon in Stralsund und überquerte über die Werftstraße erst die Ziegelgrabenbrücke nach Dänholm und dann die Rügendammbrücke auf die Insel Rügen. Als ich „Willkommen auf der Insel Rügen“ las überkamen mich ein paar klitzekleine Emotionen. Ich hatte es geschafft und hatte wirklich Pippi in den Augen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl.Jetzt waren es nur noch knapp 33 Kilometer bis nach Putbus. Es waren 33 lange Kilometer, denn die am Morgen angekündigten Windböen sorgten dafür, dass ich sogar bergab treten musste, um nicht stehen zu bleiben. Gleichzeitig war es auch wunderschön, denn durch den starken Wind und das flächige Bewegen der Ehren, sahen die Getreidefelder aus wie das Meer. Das waren, mit ein paar Umleitungen, 613 Kilometer von Dresden nach Putbus auf der Insel Rügen.
Gefahren bin ich mit einem Kalkhoff Endeavour 30, das mir von Little John Bikes zur Verfügung gestellt wurde. Das Fahrrad hat sehr gut funktioniert. Es war sehr gut auf meine Größe angepasst und ich hatte keine Probleme mit einschlafenden Händen.
Kleiner Sitz-Tipp: Vor derartigen Touren mit durchschnittlich 120 Kilometern pro Tag ist es wichtig, dass ihr den Sattel ein paar Kilometer einfahrt. Gönnt euren Sitzknochen vor der eigentlichen Tour zwei bis drei kleine Touren á 30 bis 40 Kilometern, damit sich Sattel und Po aneinander gewöhnen. Das heißt nicht, dass die lange Tour dann im Couchfeeling vonstatten geht, es ist aber wesentlich angenehmer.
Was hatte ich dabei?
1x Fahrrad Kalkhoff Endeavour 30
1x Helm
2x Radtaschen
1x Lenkradtasche
3x Trinkflaschen
1x Schlafsack
2x Ersatzschlauch
1x Flickzeug
1x Werkzeug zum Reifen wechseln und ein paar passen Inbusschlüssel
2x Spanngummis mit Haken
1x Taschenmesser
1x Taschenlampe
2x Powerbank zum iPhone laden (inkl. Ladekabel)
2x Radlerhosen
2x Radlershirts (lassen sich schnell waschen)
1x Softshell fürs Radfahren
1x Regenjacke, Regenhose, Regenüberschuhe
1x Waschtasche mit Seife, Deo, Zahnbürste, Zahnpasta,...
2x Handtuch
1x Tüte für Dreckwäsche
Wechselunterwäsche, Badeschlappen, normale Schuhe, Hose, Pullover, Jacke
Pack-Tipp: alle Sachen rollen