Michael Kretschmer, der sächsische Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende, hat in einem Interview mit der Bild-Zeitung seine Ansichten zu aktuellen politischen Themen und den bevorstehenden Wahlen in Sachsen dargelegt. Dabei hat er eine Reihe rhetorischer Mittel verwendet, die man mit populistischer Kommunikation in Verbindung bringen kann. Dieser Artikel analysiert Kretschmers Rhetorik anhand der fünf spezifischen Merkmale des Populismus: Ad-hominem-Attacke, falsche Dichotomie, Motte-and-Bailey-Argument, Appell an die ‚schweigende Mehrheit‘ und Strohmann-Argument.
Ziel ist es, die populistischen Elemente in Kretschmers Aussagen zu identifizieren und deren Einfluss auf die politische Debatte zu bewerten.
Das Interview findest du unter: Michael Kretschmer über die Sachsen-Wahl, AfD-Höcke, Grüne und das Bürgergeld | BILD TALK (11. August 2024) und die fünf Merkmale des Populismus unter https://populismus.online aus der Sendung MaiThinkX - "Wie populistische Politiker uns verarschen".
Ad-hominem-Attacke
Eine Ad-hominem-Attacke zielt darauf ab, den Gegner persönlich anzugreifen, um seine Argumente zu diskreditieren, statt sich sachlich mit den Argumenten selbst auseinanderzusetzen. In diesem Interview fällt Kretschmer nicht direkt durch persönliche Angriffe auf politische Gegner auf. Stattdessen wählt er einen subtileren Ansatz, indem er die Politik seiner Gegner als „ideologisch“ und „realitätsfern“ abtut, besonders wenn er über die Grünen spricht: „Die Grünen […] sind einfach ideologisch mit dem Kopf gegen die Wand ständig.“ Dieser Vorwurf, die Grünen seien ausschließlich ideologisch getrieben und ignorierten die Realität, ist ein typisches Beispiel für eine Ad-hominem-Rhetorik, die die Glaubwürdigkeit der Grünen infrage stellt, ohne auf deren konkrete Argumente einzugehen.
Bewertung der Intensität: Moderat. Kretschmer vermeidet direkte persönliche Angriffe, wendet jedoch abwertende Begriffe an, um die Glaubwürdigkeit seiner politischen Gegner zu untergraben.
Falsche Dichotomie / Falsches Dilemma
Eine falsche Dichotomie liegt vor, wenn komplexe Sachverhalte auf eine Wahl zwischen zwei extremen Alternativen reduziert werden. Kretschmer verwendet dieses Mittel, indem er die Wahl zwischen der CDU und den „Thüringer Verhältnissen“ als die einzig möglichen Optionen darstellt: „Die stärkste Partei muss die CDU werden […] damit wir hier nicht in Thüringer Verhältnisse reinkommen […] das Chaos ausbricht.“ Diese Aussage impliziert, dass jede andere Wahl als die CDU zwangsläufig ins Chaos führen würde, was die Komplexität der politischen Landschaft stark vereinfacht und alternative Lösungswege ignoriert.
Bewertung der Intensität: Hoch. Kretschmer stellt die Wahl zwischen Stabilität (CDU) und Chaos (andere Parteien) als die einzigen Möglichkeiten dar, was eine klassische Anwendung der falschen Dichotomie darstellt.
Motte-and-Bailey-Argument
Das Motte-and-Bailey-Argument beschreibt eine Taktik, bei der ein kontroverses Argument abgeschwächt wird, wenn es auf Widerstand stößt, um es leichter verteidigen zu können. Im Interview findet sich kein eindeutiges Beispiel für diese Taktik, da Michael Kretschmer in seinen Aussagen zur Energiepolitik relativ konsistent bleibt. Er kritisiert den Ausstieg aus der Atomkraft deutlich und weicht von dieser Position nicht ab, sondern fordert vielmehr eine Neuauflage der Energiewende. Somit lässt sich in diesem Zusammenhang keine Motte-and-Bailey-Taktik identifizieren.
Bewertung der Intensität: Nicht vorhanden. Kretschmer hält an seiner Kritik fest und passt seine Argumentation nicht an, um sie leichter verteidigen zu können.
Appell an die ‚schweigende Mehrheit‘
Populisten berufen sich häufig auf eine „schweigende Mehrheit“, die angeblich nicht ausreichend gehört wird und deren Interessen sie vertreten. Kretschmer macht dies, indem er wiederholt betont, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung seine Ansichten teilt: „[…] der überwiegende Teil dieses Landes der Menschen, die noch offen sind, jetzt verstehen […]“ Mit dieser Aussage suggeriert er, dass seine Positionen den wahren Willen des Volkes widerspiegeln, während seine politischen Gegner diesen Willen ignorieren.
Bewertung der Intensität: Hoch. Der Appell an eine „schweigende Mehrheit“ wird mehrfach verwendet, um Kretschmers Positionen als die legitime Vertretung der allgemeinen Bevölkerung darzustellen.
Strohmann-Argument
Ein Strohmann-Argument entsteht, wenn die Position des Gegners verzerrt dargestellt wird, um sie leichter angreifen zu können. Kretschmer setzt diese Technik ein, als er den Grünen vorwirft, sie würden die deutsche Energiepolitik ausschließlich ideologisch gestalten und dabei die Bedürfnisse des Landes ignorieren: „Hier geht's nicht um das Land, hier geht's nicht um die Menschen, hier geht's alleine um das, was man ideologisch sich vorgenommen hat.“ Diese Darstellung vereinfacht und verzerrt die Position der Grünen, indem sie deren komplexe politische Ziele auf eine angeblich rein ideologische Haltung reduziert.
Bewertung der Intensität: Hoch. Kretschmer verwendet das Strohmann-Argument, um die Grünen als unrealistische Ideologen darzustellen, ohne ihre tatsächlichen politischen Argumente angemessen zu reflektieren.
Fazit
In seinem Interview mit der Bild-Zeitung setzt Michael Kretschmer verschiedene populistische Rhetorikmittel ein, um seine politischen Positionen zu stärken und seine Gegner zu delegitimieren. Die Analyse zeigt, dass er insbesondere die falsche Dichotomie, den Appell an die „schweigende Mehrheit“ und das Strohmann-Argument intensiv nutzt, um seine politischen Botschaften zu vermitteln. Im Gegensatz zu anderen populistischen Mitteln verzichtet Kretschmer jedoch auf die Motte-and-Bailey-Taktik, da er in seinen Aussagen, insbesondere zur Energiepolitik, konsistent bleibt und keine abschwächenden Rückzieher macht.
Obwohl er direkte persönliche Angriffe (Ad-hominem) weitgehend vermeidet, nutzt er subtilere Formen der Diskreditierung. Insgesamt zeigt Kretschmers Rhetorik ein hohes Maß an populistischer Kommunikation, was in der politischen Debatte sowohl mobilisierend als auch polarisierend wirken kann.
Diese Analyse unterstreicht die Bedeutung einer kritischen Auseinandersetzung mit politischen Diskursen, insbesondere wenn populistische Rhetorik eingesetzt wird, um komplexe Themen zu vereinfachen und die politische Landschaft zu polarisieren.
Landtagswahl in Sachsen 2024
Abschließend bleibt zu sagen, dass der aktuelle Wahlkampf aller Politiker:innen leider oft durch eine Rhetorik geprägt ist, die populistische Elemente enthält, jedoch wie immer auch eine differenzierte Betrachtung verdient. Michael Kretschmar war nur ein Beispiel für diese Analyse, da er der aktuelle Ministerpräsident von Sachsen ist und zu den Spitzenkandidaten der Landtagswahl in Sachsen zählt. Möglich wäre diese Analyse auch mit vielen anderen Politiker:innen gewesen.
Deshalb prüfen, überlegen, denken – das liegt nun bei euch - den Wählerinnen und Wählern. Happy Sachsenwahl.
PS: ja, da ist ein Rechtschreibfehler im Bild. Geld für Bildung hat bekanntlich noch nie geschadet 😏