Die deutliche Zunahme von Straftaten mit Bezug zum Gaza-Krieg stellt die Berliner Staatsanwaltschaft vor Herausforderungen. «Es gibt unglaublich viele Fälle von Volksverhetzung und Sachbeschädigungen - unter anderem durch Graffitis mit antisemitischen Slogans, Davidsterne, die an Haustüren geschmiert wurden, oder zerstörte israelische Flaggen sowie antisemitisch motivierte Bedrohungen und Körperverletzungen», sagte der Antisemitismusbeauftragte Florian Hengst der Deutschen Presse-Agentur. Zudem seien neue Straftatbestände in den Mittelpunkt der Arbeit gerückt.
So werde die Parole «From the river to the sea, Palestine will be free», die bei vielen propalästinensischen Demonstrationen gerufen werde, von der Staatsanwaltschaft im Einzelfall anders bewertet als vor dem Terroranschlag der islamistischen Hamas. Mit dem Satz ist gemeint, es solle ein freies Palästina geben auf einem Gebiet vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer - dort, wo sich jetzt Israel befindet.
«Bislang war die Parole in der Regel nicht strafbar, erklärte Hengst. Nach dem Strafrecht sei ein Bestreiten des Existenzrechts von Israel nicht gleichzusetzen mit dem Aufruf zu Straftaten gegen Juden. Durch den «pogromartigen Angriff» auf Israel habe sich die Situation jedoch geändert. Sobald die Parole nun im Zusammenhang mit dem Terrorangriff gerufen werde, bestehe regelmäßig der Anfangsverdacht für eine Straftat. «Jetzt steht der gleiche Satz in einem anderen Kontext», erklärte der Antisemitismusbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft. Dadurch erhalte er eine andere Dimension. Die Parole könne inzwischen als Billigung von Straftaten verstanden werden.
Hengst räumte ein, dass es hierzu noch keine gefestigte Rechtsprechung gäbe. Mit dem Terrorangriff am 7. Oktober 2023 habe sich aber auch die Situation in Deutschland und insbesondere in Berlin verändert. «Für die Polizei war es wichtig, zeitnah eine klare rechtliche Einschätzung durch die Staatsanwaltschaft zu erhalten», erklärte der Jurist mit Blick auf die zahlreichen Demonstrationen in der Hauptstadt zum verschärften Nahost-Konflikt. «Hier gab es eine enge Zusammenarbeit zwischen den Behörden.»
Mit der Verfügung des Bundesinnenministeriums zum Betätigungsverbot für die islamistische Palästinenserorganisation Hamas und des palästinensischen Netzwerks Samidoun habe sich die Situation nochmals verändert. Denn darin sei die Parole «From the river to the sea» verboten, so Hengst. Damit liege nun regelmäßig zumindest ein Anfangsverdacht vor für das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen sowie eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz.
Aus Sicht des Antisemitismusbeauftragten erfolgt eine konsequente Ahndung möglicher Straftaten durch Polizei und Staatsanwaltschaft. «Es muss ein klares Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt werden», betonte er. Die jüdische Community sei in weiten Teilen sehr besorgt, besonders groß sei aktuell die Sorge bei Studierenden. Für eine Verfolgung antisemitischer Straftaten «mit aller Klarheit und Konsequenz» sei wichtig, dass alle Vorfälle auch angezeigt würden, betonte Hengst.
Im Jahr 2023 sind bei der Staatsanwaltschaft nach seinen Angaben 747 Fälle zu antisemitischen Straftaten und im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt anhängig gewesen - 158 davon allein im Kontext mit dem Terroranschlag auf Israel. 2022 gab es nach den Angaben 690 Verfahren, im Jahr zuvor 661.
Aktuell liegen der Staatsanwaltschaft 417 Fälle (Stand: 22. Februar) mit Bezug zum Gaza-Krieg vor, die seit dem Massaker registriert wurden. 63 davon stehen demnach im Zusammenhang Demonstrationen zum Nahost-Konflikt. Polizei und Meldestellen des Netzwerks Rias haben seit dem 7. Oktober 2023 einen starken Anstieg antisemitischer Vorfälle registriert. Ein Großteil der Verfahren in Berlin ist noch bei der Polizei, wo sie der für politisch motivierte Straftaten zuständige Staatsschutz bearbeitet.
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