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Interview: Polizei Sachsen in den Sozialen Medien

Demo 1. Mai 2019 in Plauen // Bild: Polizei Sachsen
Demo 1. Mai 2019 in Plauen // Bild: Polizei Sachsen

Im Interview erklärt Pascal Ziehm wann, wo und wie man eine Strafanzeige online stellen kann und warum die Polizei Sachsen keine Konkurrenz für Medien ist.

Die sozialen Medien sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Facebook, Twitter, Instagram und jetzt auch Clubhouse gehören einfach dazu. Viele Menschen verbringen mehrere Stunden täglich in den Netzwerken. Unternehmen und Institutionen haben professionelle Teams aufgebaut, da Social Media für sie wichtige Kommunikations- und Informationskanäle sind.

Nach wie vor ist es jedoch so, dass die vermeintliche Anonymität immer wieder Menschen dazu animiert, Kommentare zu verfassen, die sie im analogen Leben niemals jemandem, in der Form, ins Gesicht sagen würden. Auch weil diese Kommentare in einem strafrechtlich relevanten Kontext stehen könnten. Dazu hören Beleidigungen aber auch Morddrohungen. Auf dieses und andere Themen ist die Polizei Sachsen in einer Clubhouse Session am vergangenen Freitag eingegangen. Wir haben dies zum Anlass genommen, dem  Leiter der Stabsstelle Kommunikation der Polizei Sachsen, Pascal Ziehm, ein paar Fragen zu stellen. 

Herr Ziehm, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen.  

DieSachsen.de: Für einige Menschen sind die sozialen Medien ein schöner Zeitvertreib, der mit der Realität nicht so viel zu tun hat. Warum ist es wichtig, dass die Polizei grundsätzlich auf Facebook, Twitter & Co. unterwegs ist? 

Pascal Ziehm: Weil die Polizei dort ist, wo die Menschen sind und weil es von Bedeutung ist, dass die Polizei ihre Arbeit transparent erklärt. Es ist für uns einfach wichtig, aktiv am gesellschaftlichen Kommunikationsprozess teilzunehmen. Denn auch die Medienwelt und wie Menschen heute mit Medien umgehen, hat sich verändert. Inzwischen ist jeder nicht nur Empfänger, sondern kann auch selbst zum reichweitenstarken Sender werden.  

Gleichzeitig wandelt sich die Nutzung klassischer Medien. Das kann einerseits eine interessante Entwicklung sein, andererseits auch gefährlich: Man denke an Fake News, die sich rasant online verbreiten und die häufig nur noch sehr schwer aufzuhalten sind. Zudem erleben wir immer häufiger, dass man mit Objektivität und Fakten nur schwer an gefühlsbasierte Wahrnehmungen rankommt, die sich bei manchen verfestigt haben. Hinzu kommt, dass Polizeieinsätze heute bewertet werden wie Fußballspiele. Wenn dann aber Ausschnitte ohne journalistische Einordnung von Nutzerinnen und Nutzern über Social Media verbreitet werden, ist es gut, wenn die Polizei sich dort selbst erklären kann.  

DieSachsen.de: Im Vergleich zu anderen Bundesländern hat sich die Polizei Sachsen dazu entschieden, die Social Media Kommunikation zentral zu organisieren und ein schlagkräftiges Team aufzubauen. Welche Vorteile hat das und wo sehen Sie dennoch Potential gegenüber der dezentral organisierten Social Media Arbeit? 

Pascal Ziehm: In der Stabsstelle Kommunikation im Landespolizeipräsidium wird nicht nur die Kommunikationsarbeit der Polizeidienststellen im Freistaat Sachsen koordiniert, sondern auch selbst Medienarbeit betrieben, etwa wenn es um Angelegenheiten geht, die die gesamte sächsische Polizei betreffen. Zu meinem Team gehört die Online-Redaktion, die die Webseiten der sächsischen Polizei pflegt, strategisch ausbaut und das Intranet betreut. Sie ist zudem für die Kampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit, die sich beispielsweise um unsere Personalmarketing-Kampagne „Verdächtig gute Jobs“ kümmert, sowie für eine eigene Medienproduktion verantwortlich. Ein wichtiger Bestandteil der Stabsstelle Kommunikation ist auch das Social-Media-Team, das zentral die Kanäle auf Facebook, Twitter, Instagram und YouTube betreut und aktuelle Entwicklungen, wie Clubhouse, verfolgt. 

Für diese Aufgabe braucht es absolute Kommunikationsspezialisten, die die Sprache der Kanäle spricht. Hier helfen polizeiliche Fachbegriffe häufig nicht weiter, sondern man muss in der Lage sein, Erklärung zu übersetzen. Deshalb kommen bei uns Kommunikationsexperten und Polizeibeamte gemeinsam zum Einsatz – sozusagen das Beste aus beiden Welten. Gleichzeitig begleitet das Team laufende Polizeieinsätze und kommuniziert in enger Abstimmungen mit den Dienststellen. Dabei betreibt es auch ein ständiges Monitoring. Das alles fordert viel ab, zumal der Ton, der uns entgegenschlägt, nicht immer ein einfacher ist. Gleichzeitig hinterfragen wir uns auch selbst, werten unsere Kommunikation kritisch aus und korrigieren uns, falls es notwendig ist. Das wäre bei einer Vielzahl von Kanälen, die nicht in einer Hand liegen würden, deutlich aufwendiger und schwieriger. Außerdem sind die Anforderungen an guten Content, der die Menschen in den sozialen Netzwerken ansprechen soll, gestiegen. Für die Erstellung professioneller Bilder, Grafiken und Videos braucht es gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 

Inzwischen kommen auch sogenannte Crossmedia-Redakteurinnen und -Redakteure in unseren Dienststellen zum Einsatz, die das Social-Media-Team mehr und mehr unterstützen und wir so gemeinsam sicherstellen, dass wir auch den regionalen Besonderheiten der Dienststellen stärker auf unseren Social-Media-Kanälen gerecht werden können.  

DieSachsen.de: Die Facebook-Seite der Polizei Sachsen hat über 100.000 Abonnenten und auch der Twitter-Kanal kratzt an dieser Marke. Verglichen mit mancher News-Seite (auch mit unserer) ist das eine gigantische Reichweite. Im Jahr 2018 hat sich deutlich gezeigt, wie sich der Bereich der Blaulicht-Kommunikation verändert. Der Flurfunk Dresden (vgl.) schrieb damals: „Die Entschärfung der Fliegerbombe in Dresden wird zuerst vermeldet von: @PolizeiSachsen bei Twitter. Der entsprechende Tweet dazu erreicht die hundertfache Reichweite und Interaktion der etablierten regionalen Medien, die kurz darauf ihre Meldungen absetzen.“  

In diesem Zusammenhang gab es auch Kritik aus entsprechender Richtung. Geht es hier aber nicht vielmehr darum, den Bürgern eine vertrauensvolle und vor allem sehr schnelle Quelle zu bieten? Welche Strategie verfolgen Sie hier?

Pascal Ziehm: Wir als Polizei sehen uns nicht in Konkurrenz zu Medien und Journalisten. Ganz im Gegenteil: Es braucht heute mehr denn je guten, kritischen und einordnenden Journalismus. Deshalb setzen wir als sächsische Polizei nicht nur auf unsere eigene Social-Media-Kommunikation, sondern wollen auch für Medienvertreterinnen und Medienvertreter ein verlässlicher Partner sein. Das eine schließt das andere für uns nicht aus. Das letzte was wir wollen, ist Journalisten ihre Arbeit streitig zu machen.

Trotzdem nutzen wir soziale Netzwerke auch nicht nur um unsere Arbeit zu erklären, sondern auch im Rahmen der Gefahrenabwehr: Wenn wir in eine Situation kommen, in der wir viele Menschen warnen müssen, sind soziale Netzwerke durchaus geeignet, hier sachlich und schnell zu kommunizieren. Gleichzeitig können wir uns aber auch ebenso rasant verbreiteten Falschmeldungen entgegenstellen. 

DieSachsen.de: Wie viele Menschen arbeiten aktuell in Ihrem Social Media Team und sind das alles PolizistInnen? 

Pascal Ziehm: Derzeit arbeiten in der Stabsstelle Kommunikation der Polizei Sachsen im Landespolizeipräsidium 16 Bedienstete – acht Polizistinnen und Polizisten sowie acht Tarifbeschäftigte, die aus dem Bereich Kommunikation und Medien kommen, über eine entsprechende Ausbildung oder Studium verfügen sowie Erfahrung in anderen Branchen gesammelt haben. Das Kernteam, das sich um die Social-Media-Kommunikation kümmert, besteht aus sechs Bediensteten. Sie machen die redaktionelle Planung, stimmen sich mit den Polizeidienststellen ab, betreiben Monitoring und Community Management. 

DieSachsen.de: Wie eingangs bereits angedeutet, gibt es Menschen in den sozialen Medien, die sich aufgrund der Tatsache, dass sie einen falschen Namen oder Kunstbegriffe nutzen, so anonymisiert fühlen, dass sie Beleidigungen oder gar Morddrohungen in die Kommentarspalten setzen. Sind derartige Drohungen ernst zu nehmen? Welche Erfahrung hat die Polizei Sachsen hier gemacht?  

Pascal Ziehm: Gewalt, in welcher Form und in welchem Zusammenhang auch immer, ist nicht zu akzeptieren. In unserer offenen Gesellschaft, in unserer Demokratie gibt es keinen Grund, Menschen mit Hass zu begegnen, sie zu beleidigen und zu verängstigen. Wir haben moralische Grundsätze, diese gelten nicht nur offline, sondern auch online. Wer diese Grundsätze auf unerträgliche Weise und zum Teil unterstem Niveau verletzt, bereitet zugleich den Stimmungsboden für reale Gewalt. Das sollte sich jeder klarmachen. Es gibt keine rechtsfreien Räume in unserem Land. Das Strafrecht gilt auch im Internet. 

In den letzten drei Jahren sind der sächsischen Polizei mehr als 400 Hasspostings bekannt geworden. In allen Fällen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet und die Hasspostings strafrechtlich verfolgt. 

Polizei Sachsen Social Media Team

DieSachsen.de: Als DieSachsen.de haben wir auch schon Nachrichten bekommen, die man durchaus als Morddrohungen interpretieren könnte. Wir haben die Vorfälle und die Nutzer bei Facebook gemeldet, dann aber nie wieder etwas gehört. Sollten derartige Taten zur Anzeige bei der Polizei gebracht werden und wenn ja, wo kann man das machen und welche Aussichten auf Erfolg hat eine solche Anzeige, wenn NutzerInnen mit dem falschen Namen unterwegs sind? 

Pascal Ziehm: Wer Opfer von Hasskriminalität wurde – sogar bedroht wurde –, der sollte dies unbedingt bei der Polizei zur Anzeige bringen!  In einem ersten Schritt hat die sächsische Staatsregierung zum 1. Oktober 2020 ein Medien-Portal eingerichtet, über das Medienvertreterinnen und Medienvertreter strafrechtlich relevante Hasskommentare direkt auf elektronischem Weg bei der Generalstaatsanwaltschaft des Freistaates Sachsen anzeigen können. Ein weiterer wichtiger Baustein bei der Bekämpfung von Hass im Netz ist das kürzlich freigeschaltete Bürger-Portal. Über dieses können Bürgerinnen und Bürger, aber auch Unternehmen und Institutionen in Sachsen, Hass im Netz auf einem einfachen Meldeweg anzeigen. Zu erreichen ist das Bürger-Portal über die Onlinewache der sächsischen Polizei auf www.polizei.sachsen.de

Dazu haben wir beim Landeskriminalamt eine Zentrale Meldestelle für Hasskriminalität im Internet – kurz ZMI – eingerichtet, die zeitgleich mit der Freischaltung des Bürger-Portals ihre Arbeit aufgenommen hat. Die ZMI nimmt die Anzeigen zur Hasskriminalität zentral entgegen und veranlasst notwendige Erstmaßnahmen, wie die Ermittlung der IP-Adresse bei dem Telemediendiensteanbieter sowie die Anreicherung des Grundsachverhaltes mit ermittlungsrelevanten Informationen. Erweist sich ein Sachverhalt als ermittlungswürdig und ermittlungsfähig, erfolgt die weitere Bearbeitung durch eine Polizeidirektion beziehungsweise das Landeskriminalamt in Abhängigkeit der Schwere der Straftat. Darüber hinaus gibt die ZMI Hinweise zu weiteren Beratungs- und Hilfsangeboten im Zusammenhang mit Hass im Netz, um Betroffene zu unterstützen. 

Mit diesem Vorgehen wollen wir das Melden von Hassangriffen vereinfachen und den Verfolgungsdruck auf Hasstäter in öffentlich wahrnehmbarer Weise erhöhen. Wir versprechen uns, Tätern im Netz das Handwerk zu legen und das Klima im Netz zu entgiften. Damit leisten Polizei und Justiz in Sachsen einen Beitrag für Meinungsfreiheit und setzen ein deutliches Zeichen gegen Recht- und Rücksichtslosigkeit und damit für Freiheit und Demokratie im Netz. 

Polizei Sachsen ZMI Hasskriminalität

Auf was muss man bei einer solchen Anzeige achten? 

Pascal Ziehm: Das Online-Formular, das wir in unserer Onlinewache anbieten, führt den Anzeigenerstatter beziehungsweise die Anzeigenerstatterin gut durch den Prozess und zeigt an, welche Angaben die Kolleginnen und Kollegen benötigen, um den Fall zu prüfen. 

Wichtig ist, dass Hasskommentare oder gar Bedrohungen auch wirklich zur Anzeige gebracht werden – und das möglichst schnell: Denn entsprechende Daten werden aufgrund der bis heute ungeklärten Mindestspeicherfristen nur maximal sieben Tage vorgehalten. Wer aber für sich eine unmittelbare Bedrohung für Leib und Leben ausmacht, sollte sich sofort und direkt an die Polizei wenden – womöglich auch über den Notruf 110. 

DieSachsen.de: Ist Ihr Team auch aktiv an der Aufklärung von Straftaten beteiligt oder gibt es hier eine Spezialeinheit? 

Pascal Ziehm: Nein, unser Auftrag ist die polizeiliche Kommunikationsarbeit, nicht die polizeiliche Ermittlungsarbeit. Internetaufklärung oder die Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit dem Tatmittel Internet werden von anderen Spezialisten innerhalb der sächsischen Polizei betrieben. Aber natürlich stehen wir in engem Austausch und melden auch mögliche Straftaten, auf die wir aufmerksam gemacht werden, an die Kolleginnen und Kollegen weiter. 

DieSachsen.de: Haben Sie noch Tipps für das richtige Verhalten in den sozialen Medien? 

Pascal Ziehm: Jeder sollte für sich kritisch hinterfragen, welche Informationen er von sich in sozialen Online-Netzwerken preisgibt. Ich bin selbst ein großer Fan von dieser Kommunikation, rate aber, eine eigene Balance zu finden und den eigenen Konsum auch zu hinterfragen und die Nutzung zu begrenzen. 

Außerdem sollte niemand vergessen, dass am anderen Ende der Leitung immer auch ein Mensch sitzt. Deshalb sollte man den Umgangston, auch in kritischen Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Meinungen und Sichtweisen immer so wählen, wie man selbst angesprochen werden möchte. Es hilft durchaus, vor dem Absenden eines Kommentares noch einmal zu Zögern und das Kommunikationsklima nicht zu überhitzen. Jeder sollte sich die Frage stellen, ob man seinem Partner oder seinen Kindern das am Abend ohne schlechtes Gewissen vorlesen kann, was man selbst in sozialen Netzwerken kommentiert. 

Zudem sollte man wirklich darauf achten, welche Informationen man selbst weiter verbreitet. Häufig beteiligen sich Menschen völlig unbewusst an der Verbreitung von Falschmeldungen. Deshalb sollte man sich selbst immer fragen: Wer hat den Post erstellt? Was ist die Quelle? Woher stammt der Inhalt? Wann wurde es veröffentlicht? Und sich auch selbst die Frage stellen: Warum teile ich das eigentlich? 

DieSachsen.de: Vielen Dank, Herr Ziehm, dass Sie sich die Zeit genommen haben.  

Bleiben Sie gesund. 

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Das Interview führte Thomas Wolf.


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